Herbstwald
Minuten vergangen waren, in denen niemand in der Trauerhalle erschienen war, stellte er sich selbst vor die Scheibe, hinter der Catharina Aigner lag. Der Vorhang war zur Seite geschoben worden und gab den Blick auf einen schweren, schnörkellosen Sarg frei, der links und rechts von hohen Leuchtern mit ewig brennenden Kerzen eingerahmt worden war.
Dem Bestatter war ein wahres Meisterwerk gelungen. Die junge Frau lag jetzt friedlich eingehüllt in weißen Kissen, als hätte sie nur kurz ihre Augen geschlossen. Sie sah mit friedlichem Gesichtsausdruck und geschlossenen Augen auf die kleine gemalte Nummer 12 über ihr an der Wand. Ihre Hände waren wie zum Gebet gefaltet und von den rasierten Haaren war nichts mehr zu sehen.
Die Perücke sah so lebensecht aus, dass niemand bemerken würde, was ihr vor dem Tod angetan worden war. Landhäuser hatte sich selbst darum gekümmert, dass das Haar so authentisch wie möglich aussah, um niemandem zu verraten, was nur die Ermittler wissen sollten. Ólafur Davídsson betrachtete die junge Frau und fragte sich gleichzeitig, warum sie ihr Leben so früh verlieren musste.
Er setzte sich für ein paar Minuten auf die kalte Holzbank und betrachtete die lange Reihe mit Särgen und Leuchtern, bis es zehn Uhr war und der Sarg in die Kapelle getragen wurde, in der Lilian Landhäuser bereits wartete.
Sie hatte sich extra zu diesem Anlass einen schwarzen Rock und einen ebenso schwarzen Blazer gekauft und trug jetzt dazu einen weißen Angorapullover. Die dunklen Töne passten zu ihrem dunkelblonden Haar und der zeitlosen Brille, die sie trug. Landhäuser sah aus, als sei sie eine von jenen Businessfrauen, die er manchmal nachmittags aus den Banken kommen sah.
Er blieb unter dem Arkadengang stehen, der in die Kapelle führte. Hofbauer wartete an der Grabstelle, bis die Kriminalanalysten in Begleitung des Sarges eintreffen würden, während Kriminalkommissar Schedl mit den Kollegen vom LKA die Ausgänge im Auge behielt.
Der Trauergottesdienst hatte gerade einmal zwanzig Minuten gedauert. Der Pfarrer hatte nicht viel über die junge Frau sagen können. Er hatte sie nicht gekannt und die Informationen, die er von Kriminalkommissar Schedl erhalten hatte, waren mehr als dürftig. Die wenigen Dinge, die sie bisher während ihrer Ermittlungen herausgefunden hatten, eigneten sich nicht für eine Traueransprache oder sie waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.
Ólafur Davídsson folgte dem Sarg nun zusammen mit Lilian Landhäuser in gebührendem Abstand über einen Kiesweg, vorbei an der Trauerhalle und an einem großen Rasenplatz, der nie eine Grabstätte werden würde.
Als sie das Gebäude der Friedhofsverwaltung kreuzten, schloss sich ihnen Ricardo Gollas an. Er hatte das weiße T-Shirt gegen einen dunklen Rollkragenpullover getauscht und trug dazu verwaschene Baggy Pants, die mit einem breiten, silbernen Gürtel über der Hüfte gehalten wurde.
Die Kollegen vom Landeskriminalamt hatten ihn per Funk angekündigt. Jeder Mitarbeiter hatte einen kleinen unsichtbaren Stöpsel im Ohr und Davídsson hatte über ein Mikrofon, das er im Ärmel seines Anzugs trug, mitgeteilt, dass der junge Mann ihm bereits bekannt sei und sie ihn nicht auf dem Nachhauseweg anhalten brauchten, um seine Identität festzustellen.
Wenige Minuten später kamen sie an einem mehrstufigen Brunnen vorbei, neben dem gelbe und grüne Gießkannen kopfüber hingen. Schließlich passierten sie einen kleinen Granitblock, aus dem eine Elf gefräst war.
Hofbauer wartete allein vor dem Grab. Bisher war niemand Unbekanntes auf der Beerdigung erschienen. Landhäuser war in der Kapelle mit dem Pfarrer und zwei Ministranten alleine geblieben und auch Schedl hatte niemanden gemeldet, der hinter einer der Hecken um das Grabfeld darauf wartete, sich der Trauergemeinde anzuschließen.
Umso überraschter waren sie, als der Innenminister plötzlich mit zwei Männern vom Personenschutzkommando am Grab von Catharina Aigner auftauchte. Die Männer taten so, als seien sie selbst Trauergäste. Sie hatten die kleinen Pins mit den bayerischen Flaggen aus den Knopflöchern genommen und versuchten sich so zwanglos wie möglich zu bewegen. Trotzdem konnten sie vor Davídsson nicht verbergen, wer sie waren.
Der Minister warf einen kurzen, misstrauischen Blick auf Ricardo Gollas, konzentrierte sich dann aber auf die Grabrede des Geistlichen, der von der Hoffnung und dem Himmelreich sprach.
Die
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