Herbstwald
kam schnell. Die Worte brachen aus ihm heraus wie bei einem Vulkan, der Feuer spuckte.
»Sie haben uns aber auch nie die Wahrheit gesagt.« Davídsson sah Hofbauer forschend an.
Landhäuser und Schedl blickten ungläubig einen nach dem anderen an, sagten aber nichts.
»Was glauben Sie eigentlich, wer ich bin?«, sagte Hofbauer nach einer ganzen Weile. Offenbar begriff er langsam, wie ernst seine Lage war.
»Sie möchten ganz gewiss nicht hören, was Sie meiner Meinung nach sind.« Davídssons Stimme war ruhig geblieben, aber das, was er sagte, zeigte sofort seine Wirkung.
»Ich bin jedenfalls nicht ihr Mörder.«
»Dann sagen Sie uns, was Sie über den Fall wissen.«
»Ich kenne Schirmer-Lunz von früher. Wir sind zusammen aufgewachsen, waren zusammen in der freiwilligen Feuerwehr und hatten dieselben Freunde. Später, nach dem Abitur, hat er sich für die Politik entschieden und ich mich für die Kriminalpolizei.«
»Und?« Davídsson versuchte, von seinem Gesicht abzulesen, was passiert war.
»Vor etwa drei Jahren hat er mich um einen Gefallen gebeten. Wir hatten uns schon länger nicht mehr gesprochen und ich war überrascht, von ihm zu hören. Seit seiner politischen Karriere hatte er wenig Zeit für seine alten Freunde, aber nun war seine Tochter irgendwie in Schwierigkeiten geraten und musste plötzlich verschwinden. Ich wusste bis dahin nicht einmal, dass er Kinder hatte. Er hat mich jedenfalls gebeten, sie irgendwo unterzubringen, wo es für sie sicher war. Ihre Kollegen vom Zeugenschutz wollten sie irgendwo in die neuen Bundesländer verfrachten. In eine kleine, ziemlich verlassene Stadt namens Guben in Brandenburg, unmittelbar an der polnischen Grenze. Aber er wollte, dass sie wieder nach Bayern zurückkommt. Er verlangte, dass sie bei ihm in der Nähe ist, nach allem, was in Frankfurt passiert war. Er macht sich noch heute Vorwürfe, weil er sie überhaupt dorthin gelassen hatte. Außerhalb seines Einflussbereiches.«
Davídsson dachte an Kontrollzwang, ging aber nicht darauf ein.
»Und da hatten Sie die Idee mit der Fuggerei?«
»Ja. Ihre Kollegen waren zunächst dagegen und ich musste mich alleine um die Unterbringung kümmern. Also habe ich mit dem hiesigen Leiter des Sozialamtes gesprochen. Erst später haben mich dann auch Ihre Kollegen dabei unterstützt und neue Papiere mit einem anderen Namen und einem neuen Geburtsdatum besorgt und was sonst noch dazugehörte.«
»Wusste Schirmer-Lunz, wo seine Tochter untergebracht worden war?«
»Ich habe es ihm erst gesagt, als sie schon tot war.«
»Und was ist mit ihrem neuen Namen?«
»Es gab keinen Telefonbucheintrag oder sonst irgendetwas, dass hier auf sie hingedeutet hätte.«
»Er kannte ihn also.«
»Er hat nicht lockergelassen, bis ich ihm schließlich gesagt habe, wie seine Tochter jetzt hieß. Ich habe zuvor lange versucht, ihm klarzumachen, wie gefährlich es wäre, wenn er ihren neuen Namen kennen würde, und dass die Gefahr für sie größer wurde, je mehr er über ihr neues Leben wusste. Aber er hat nicht auf mich hören wollen. Er hat mich damit beruhigt, dass er als Innenminister über abhörsichere Telefonverbindungen und Personenschutz verfügen würde und sein Haus rund um die Uhr überwacht würde. Er war sich sicher, dass die Details deshalb bei ihm absolut unzugänglich waren.«
»Und was wissen Sie über den Fall in Frankfurt?«, wollte Davídsson wissen.
»Er hat mir nie gesagt, was in Frankfurt vorgefallen ist. Ich habe mir das eine oder andere aus den Zeitungen zusammengereimt, aber wirklich etwas gewusst habe ich nie. Jedenfalls nicht, bis Sie gestern davon erzählt haben.«
»Und Sie?« Er wandte sich an Kriminalkommissar Schedl. Für Davídsson gab es zwar keinen konkreten Anhaltspunkt, dass auch er etwas wusste, was er bisher verschwiegen hatte, aber der Kriminalanalyst wollte jetzt sichergehen. »Wissen Sie auch etwas über diesen Fall, was wir noch nicht wissen?«
»Ich bin von dieser Entwicklung genauso überrascht worden wie Sie.« Der Kriminalkommissar schüttelte ein paarmal seinen runden Kopf, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. »Höchstwahrscheinlich wird das Verhalten von Kriminalhauptkommissar Hofbauer auch noch disziplinarische Folgen für ihn haben«, ergänzte er nach einer Weile. Seine Stimme war dabei jedoch so schwach, dass man kaum verstehen konnte, was er sagte.
Ólafur Davídsson stand auf und ging zu dem vergitterten Fenster. Die Welt dahinter war immer noch grau und regnerisch.
Weitere Kostenlose Bücher