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Herbstwald

Herbstwald

Titel: Herbstwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Guzewicz
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in einer besseren Gegend wohnen zu können. Er kannte die Vorurteile, die einem entgegenschlugen, sobald jemand mitbekam, dass man aus einem sozialen Brennpunkt stammte.
    Zum Eingang der Hausnummer 14 führte eine Rampe. Neben der Glastür war ein Grundriss der Etagen als Feuerwehrrettungsplan angebracht. Im Prinzip waren es zwei Hochhäuser, die versetzt nebeneinandergestellt und in der Mitte mit einem Treppenhaus verbunden waren.
    Sie folgten einer indisch aussehenden Frau ins Haus und fuhren in den sechsten Stock. Als sich die Aufzugstür wieder vor ihnen öffnete, kam ihnen ein Geruchsgemisch aus altem Fett und Lebensmittelresten entgegen. Der Hausflur war breit und trotz der Neonleuchten dunkel.
    Hofbauer klingelte und Davídsson gab ihm ein Zeichen, dass er mit Martin Schirmer-Lunz sprechen wollte.
    Bevor Davídsson darüber nachgrübeln konnte, was geschehen musste, um einen jungen Menschen dazu zu veranlassen von einer Villa am Chiemsee freiwillig in diese Absteige zu ziehen, wurde die Tür aufgerissen. Laute Rapmusik hallte von den kahlen Treppenhauswänden, und für einen Bruchteil erschien das Gesicht einer jungen Frau im Türspalt.
    »Entweder die Bullen oder die Bibelprediger stehen vor deiner Tür«, brüllte sie gegen den Lärm in die Wohnung.
    Davídsson hörte schnelle Schritte auf sie zukommen, und bevor die Tür vor seiner Nase zuschlagen konnte, reagierte er blitzschnell und stellte den Fuß in den Türrahmen. Die volle Wucht der zufallenden Tür hätte ihn fast aus dem Gleichgewicht gebracht, aber er schaffte es noch, sich am Türrahmen abzustützen.
    Landhäuser griff instinktiv nach ihrer Waffe, aber Davídsson bedeutete ihr, dass dies hier nicht nötig war. Der Schmerz in seinem Fuß war unerträglich, aber es gelang ihm irgendwie, in die Wohnung zu humpeln.
    Martin Schirmer-Lunz sah ihn verwundert an. Er hatte offensichtlich geglaubt, dass die Tür ins Schloss gefallen war, bevor jemand in die Wohnung kommen konnte.
    Der junge Mann sah aus wie auf dem Foto, das Davídsson immer noch mit sich herumtrug. Er hatte bisher immer wieder vergessen, es aus seiner Manteltasche zu nehmen. Jetzt brauchte er es nicht mehr.
    »Mach den Krach aus und setz’ dich hin!« Davídsson wusste, dass er in diesem Fall von Anfang an Stärke zeigen musste, um ernst genommen zu werden.
    Der junge Mann gehorchte sofort und beendete das Video mit den gerappten Hasstiraden auf seinem Monitor. Erst jetzt sah Davídsson, dass Martin Schirmer-Lunz selbst auf dem Bildschirm zu sehen war.
    »Was will mein Alter von mir?«
    »Ich bin wegen deiner Schwester hier.«
    Hofbauer und Landhäuser waren in dem kleinen rechteckigen Flur stehen geblieben. Von der jungen Frau, die ihnen geöffnet hatte, war nichts mehr zu sehen.
    »Verpiss dich!«, zischte Martin Schirmer-Lunz. Er war neben einer vollgekritzelten Wand stehen geblieben. Die Körperhaltung des Jungen war weniger provokant als seine Worte.
    »Ich dachte, dir liegt etwas an ihr.« Davídsson las eine Aneinanderreihung von Schimpfworten an der Wand, die so etwas wie Reime bildeten.
    Als Martin Schirmer-Lunz Davídssons Blick bemerkte, grinste er spöttisch.
    »Jo, Alter. Sie ist weg und macht ihr eigenes Ding.«
    »Sie ist tot«, sagte Davídsson, der plötzlich die Geduld für eine sanftere Form dieser Mitteilung verloren hatte.
    Im Licht der Neonröhre an der Decke sahen alle blass aus, aber der Junge verlor schlagartig den letzten Rest seiner Gesichtsfarbe.
    »Lüge!«, brüllte er, aber Davídsson konnte sehen, dass er begriffen hatte, dass es die Wahrheit war.
    Er konnte den Untergang in seinen Augen sehen.
    Der Kriminalanalyst half ihm, sich auf die Couch zu legen, die offensichtlich nachts in ein Bett verwandelt werden konnte.
    Die Wohnung war nicht besonders groß. In der einen Ecke stand der Computer. Martin Schirmer-Lunz rappte immer noch stumm in leicht gebückter Haltung und mit derben Handbewegungen über den Flachbildschirm. Das Video schien immer wieder von Neuem zu starten. Jetzt wirkten die aufgestauten Aggressionen in den schwarz geschminkten Augen des Jungen nur noch grotesk. Davídsson hätte den Monitor am liebsten aus dem Fenster geworfen.
    Auf der gegenüberliegenden Seite stapelten sich ein paar Pizzakartons auf einer Pantryküche. Daneben ragte eine Schnapsflasche aus dem Mülleimer. Davídsson sah zwei Kondomtütchen, die den Mülleimer verfehlt hatten und auf dem Boden gelandet waren. Sonst war das Zimmer einigermaßen aufgeräumt.
    »Wie ist das

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