Hercule Poirot schläft nie
unbedingt Selbstmord gewesen sein?«
»Tja, es gäbe da noch eine andere Möglichkeit.«
»Was meinen Sie?«
Poirot blickte ihr voll ins Gesicht. »Vielleicht war es – Mord.«
»O nein!« Jane Plenderleith schrak zusammen. »O nein! Was für eine furchtbare Idee!«
»Furchtbar, mag sein, aber halten Sie es für unmöglich?«
»Die Tür war von innen verschlossen. Und das Fenster verriegelt.«
»Es wurde abgeschlossen – ja. Aber es gibt keinen A n haltspunkt, ob von innen oder von außen. Denn, sehen Sie, der Schlüssel fehlt.«
»Aber – wenn er fehlt, dann…« Sie überlegte einen A u genblick. »Dann muss die Tür von außen zugeschlossen worden sein. Sonst befände sich der Schlüssel ja irgendwo im Zimmer.«
»Oh, gut möglich, dass er dort ist. Vergessen Sie nicht, man hat das Zimmer noch nicht gründlich durchsucht. Es könnte auch sein, dass er aus dem Fenster geworfen wurde und jemand ihn aufhob.«
»Mord!«, wiederholte Jane Plenderleith. Ihr kluges, dunkles Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an, während sie diese neue Möglichkeit erwog. »Ich glaube, Sie haben Recht.«
»Wenn es Mord war, muss es ein Motiv geben. Wissen Sie von einem solchen Motiv, Mademoiselle?«
Langsam schüttelte sie den Kopf. Dennoch wurde Po i rot den Eindruck nicht los, dass Jane Plenderleith absich t lich etwas verschwieg. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Japp trat ein.
Poirot erhob sich.
»Ich habe Miss Plenderleith gerade angedeutet«, sagte er, »dass es sich bei dem Tod ihrer Freundin nicht um Selbstmord handelt.«
Japp schien für einen Moment aus der Fassung zu ger a ten. Er warf Poirot einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Es ist noch zu früh, um darüber abschließend zu urte i len«, erklärte er. »Wir müssen immer alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, wissen Sie. Mehr möchte ich vorläufig dazu nicht sagen.«
»Ich verstehe schon«, erwiderte Jane Plenderleith ruhig.
Japp trat auf sie zu. »Übrigens, Miss Plenderleith, haben Sie dies hier schon einmal gesehen?«
Er hielt ihr seine geöffnete Hand hin, in der ein kleines ovales dunkelblaues Emailstück lag.
Jane Plenderleith schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie.«
»Es gehört weder Ihnen noch Mrs Allen?«
»Nein. So etwas wird gewöhnlich nicht von Angehör i gen des weiblichen Geschlechts getragen, oder?«
»Ach, Sie haben erkannt, was es ist?«
»Das ist doch ziemlich klar, nicht wahr? Es ist der Teil eines Manschettenknopfs.«
4
»Diese junge Person ist mir bei weitem zu vorlaut«, grol l te Japp.
Die beiden Männer befanden sich wieder in Mrs Aliens Schlafzimmer. Die Leiche war inzwischen fotografiert und fortgeschafft worden, der Mann von der Spurens i cherung hatte sein Werk getan und war gegangen.
»Es wäre sicherlich nicht ratsam, sie wie ein törichtes junges Ding zu behandeln«, erwiderte Poirot zusti m mend. »Das ist sie nämlich ganz und gar nicht. Im G e genteil, sie ist eine außergewöhnlich kluge und tüchtige junge Frau.«
»Glauben Sie, sie war’s?«, fragte Japp mit einem Anflug von hoffnungsvoller Erwartung. »Möglich wäre es nä m lich, wissen Sie. Wir müssen ihr Alibi überprüfen. Vie l leicht ein Streit um diesen jungen Mann – diesen hof f nungsvollen Jungparlamentarier. Sie macht ihn ein bis s chen zu schlecht, finde ich! Klingt irgendwie faul. Fast, als sei sie selbst scharf auf ihn, und er hätte sie abblitzen lassen. Sie ist der Typ Frau, die jeden um die Ecke bri n gen würde, wenn es ihr in den Kram passt, und dabei noch einen kühlen Kopf bewahren. Ja, dieses Alibi we r den wir uns unter die Lupe nehmen müssen. Sie hatte es auffallend schnell parat, und im Übrigen ist Essex nicht sehr weit entfernt. Es gibt eine Menge Züge. Oder ein schnelles Auto. Es würde sich lohnen herauszufinden, ob sie zum Beispiel gestern Abend frühzeitig mit Kop f schmerzen zu Bett gegangen ist.«
»Sie haben Recht«, pflichtete Poirot ihm bei.
»Auf jeden Fall«, fuhr Japp fort, »verschweigt sie uns etwas, wie? Haben Sie nicht auch das Gefühl? Die junge Frau weiß etwas.«
Poirot nickte nachdenklich. »Ja, es war deutlich zu e r kennen.«
»Das ist das Problem bei solchen Fällen«, klagte Japp. »Die Leute müssen immer etwas verschweigen – manc h mal aus den ehrenhaftesten Motiven.«
»Was man ihnen kaum verübeln kann, mein Freund.«
»Nein, aber es macht alles so viel schwerer«, brummte Japp.
»Es bringt lediglich Ihren Scharfsinn auf die vorteilha f teste Weise zur
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