Hermann Hesse: Das Leben des Glasperlenspielers (German Edition)
seines Protagonisten hat Hesse mit Bedacht gewählt, denn Diener eines ihn selbst transzendierenden Ideals, der Vorstellung von der Einheit hinter den Gegensätzen, die sich am sinnfälligsten in der Musik ausdrückt, will Knecht in allen Phasen seines Lebens sein – bis in den Tod. Dienst und Opfer bestimmen Hermann Hesses späte Schriften, die auch eine behutsame Wiederannäherung an die Werte des eigenen Elternhauses und die Rehabilitierung der väterlichen Welt mit ihrer ethisch-religiösen Erfahrung erkennen lassen.
Wer den Weg des Eigensinns so konsequent geht wie Hermann Hesse, macht es auch seinen Weggefährten nicht leicht. Der dauernde, unabschließbare Prozess der Individuation hatte einen hohen Preis, nicht nur für den Suchenden und Zweifelnden selbst, sondern auch für jene, die ihn begleiteten, für die Eltern und Geschwister, die Freunde – vor allem aber für Hesses Frauen. Welchen Abgründen die »Heiterkeit« des Glasperlenspielers Hermann Hesse abgerungen ist, belegen nicht nur die autobiografischen Schriften, sondern auch die Tagebücher und die Korrespondenzen mit seinen Ehefrauen. Überhaupt die Frauen: Sie sind die wahren Heldinnen seines Lebens, und für den Biografen sind es gerade diese spannungsvollen Beziehungen zu Mia Bernoulli, Ruth Wenger und Ninon Dolbin, die Aufschluss geben über Hesses Versuch, die Freiheit des Schriftstellers mit der Fürsorge für die Familie zu verbinden. Dass er dabei zweimal scheiterte, gehört zur Tragik dieses alles in allem wunderbar gelungenen Lebens.
Bei der Arbeit an dieser Biografie, die mich noch einmal in meine eigene Schulzeit als Seminarist in Maulbronn zurückführte, habe ich vielerlei Anregungen empfangen. Ich danke besonders Rüdiger Safranski und Uwe Wolff für die Gespräche über das Wesen des Biografischen, die Wechselbeziehungen zwischen Leben und Werk des schöpferischen Menschen. Mein Dank gilt aber auch den Freunden Ulrich Schacht, Thomas Scheuffelen sowie Angelika und Martin Thoemmes, die mir wichtige Hinweise gaben. Hans-Eberhard Dentler, dem namhaften Cellisten und Kenner des Bachschen Œuvres, verdanke ich den musikphilosophischen Schlüssel zum Verständnis von Hesses zentralem Werk Das Glasperlenspiel . Nicht zuletzt danke ich den Lektorinnen des Piper Verlags Renate Dörner und Kristin Rotter, die das Buchprojekt mit viel Geduld und Sachverstand in all seinen Phasen begleiteten.
Heimo Schwilk
Berlin, im Januar 2012
ERSTES KAPITEL
Die Flucht: Von Maulbronn über Sternenfels nach Kürnbach. Der Club der toten Dichter. »Die Odyssee ist kein Kochbuch.« Die Nacht im Strohhaufen. Der verborgene Gott. Licht auf der Dornenkrone. Mit dem Landjäger zurück ins Kloster. »Kennst Du das Land, wo keine Blumen blühen.« Karzerstrafe. »Bitte liebt mich noch wie vorher.« Morddrohung. Hermann muss das Seminar verlassen. Absturz in den Wahnsinn? Zum Teufelsaustreiber nach Bad Boll
Nichts wird so sein wie vorher. Das Herz rast, heiße Wellen treiben ihn voran. Der junge Mann spürt, dass diese Entscheidung sein Leben verändern wird. Eben ist er durch die Mauerpforte an der Nordwestecke des Klosters geschlüpft, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Hinter den in blau-weißem Dunst schwimmenden Hügeln am Horizont ruft keine Glocke zum Aufstehen, zur Lektion, zum Mittagstisch. Auf dem Höhenweg über dem Kloster schwenkt er seine grüne Mütze, um sich einer Gruppe von Mitschülern bemerkbar zu machen, die am Brunnen vor dem Seminargebäude zur Mittagspause zusammensteht. Einer ruft etwas, winkt, aber sein Ruf verhallt zwischen den Mauern von Jagdschloss und Abtshaus. Niemand würde ihm folgen, das weiß er. Keiner hat wie er den Mut, frech die Seminarordnung zu durchbrechen, den Schritt ins Freie zu wagen. Man lästert gegen die Repetenten, reimt Spottverse, aber wenn einer der Lehrer das Zimmer betritt, verstummen die meisten, machen ihren Bückling und erweisen sich als dankbar-gefällige Stipendiaten.
Hermann Hesse aus dem Pietistenstädtchen Calw ist anders. Einen der Lehrer liebt er, die anderen sind ihm gleichgültig, nur einer ist ihm verhasst. Das Maulbronner Klosterseminar erscheint ihm als ein durchaus angenehmer Ort, keine »Knabenpresse«, in die ehrgeizige Eltern ihre Söhne zwingen, um sich Ausbildungskosten zu sparen – oder weil sie auf eine glanzvolle Karriere ihres Sprösslings hoffen. »Alles zusammen bildet ein festes, schönes Band zwischen Allen und nirgends findet man einen Zwang« 1 , hat er noch vor drei
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