Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
Vom Netzwerk:
und Eindringen der Mit-Lebewesen. Besinnung und
    Besonnenheit sind schließlich Worte, deren Stamm die Sinne sind.
    Diese Sinne sind bei Hesse sehr frei, sehr rein, sehr blank und
    geschärft in der Selbst-Besinnung, und wo sich diese nach außen
    wendet, heißt sie Besonnenheit.
    Diese Anlage aber verursacht nun andererseits dem Biographen eine
    große Schwierigkeit. Da dessen Gegenstand, der Dichter Hesse, alles
    bereits selbst gesagt oder aber mit genauer Absicht selbst
    verschwiegen hat; da er aus jeder Lebensepoche das Wesentliche
    nahezu an jedem Punkte in Form gebracht, so gerät der Biograph in
    Verlegenheit, was er sollte zu berichten haben, ohne Gefahr zu
    laufen, mit weit weniger Glück bereits Gestaltetes und Geprägtes zu
    wiederholen, das heißt, sein Buch auf Zitate zu beschränken. So
    verhält es sich besonders mit Hesses glücklichster Zeit, den
    Knabenjahren in Calw. Ich sehe ihn dort über den Marktplatz
    schlendern, und die lachenden Mägde am Brunnen spritzen einander

    34
    mit Wasser. Ich sehe ihn auf der vermoosten Brücke sitzen bei der
    Nikolauskapelle oder draußen stehen am Wehr mit dem Angelgerät.
    Ich sehe ihn im Studierzimmer des Großvaters, der einen Schlafrock
    aus indischem Kamelhaar trägt; sehe ihn seinen älteren Brüdern, die
    in den Kirchenkonzerten singen, den Blasebalg treten oder der
    Mutter die Kerzen am Klavier anzünden und die Notenblätter
    umwenden. Er zimmert seinen Hasenstall und kommt die
    Falkengasse herunter. Er erledigt seine Raufereien und wird am
    Abend mit Hans im Garten sanft fallende Raketen abfeuern.
    Aber all dies liest man in seinen Büchern viel besser, als ich es sagen
    könnte, und außerdem ist es seinen Lesern längst bekannt. Und was
    mir doch nie gelingen würde mitzuteilen, das ist dieser Knabenjahre
    eigentliche Atmosphäre, von der ich nicht weiß, ob sie mehr von der
    Spiegelung der Schwarzpappeln und Erlen in der Nagold herrührt
    oder vom koboldartigen Lärmen und den magischen Sprüchlein
    abendlicher Bubenspiele. Vielleicht ist es doch vor allem dies bunte
    Lärmen und Entschlafen, dieses Sicherhitzen und den Lockenkopf an
    die Mutter lehnen, und ist ein abendliches Wissen um Kraut und Tier
    und Wälder und Sterne, was die Knabenjahre zu jener eigenen, in
    sich geschlossenen Weit erhebt. Mir ist aus solchen Jahren
    erinnerlich, daß ich gar nicht glauben konnte, das Liebhaben sei ein
    Ding für so große und ernsthafte Menschen wie es die Erwachsenen
    nun einmal sind; nur Kinder könnten lieben; nur sie hätten die zarten
    Glieder und scheuen Gedanken, die heimliche Scham der Gefühle,
    und jene Tränen-Allwissenheit, die zur Liebe doch zu gehören
    scheint.
    Wenn es aber nun in Hesses Leben einen Haupt- und Generalpunkt
    gibt, den der Dichter noch nicht erschöpft und auf gelöst hat; wo
    dem Biographen noch etwas zu sagen bleibt, so ist es diejenige
    Zeitspanne, zu deren Beschreibung ich jetzt komme: die Zeit der
    Berufswahl und der anschließenden Wirren; die Zeit der Gärung und
    der Loslösung vom Vaterhaus, und mit einem Worte: Maulbronn.
    Dem Dichter war von den Eltern die Theologenlaufbahn bestimmt. So
    war es Tradition und bei jungen Menschen von guter Begabung das
    Gegebene. Die theologische Laufbahn entsprach nicht nur den
    Wünschen der Familie – sie war außerdem das billigste Studium,
    denn für württembergische Theologen gab es vom vierzehnten Jahr

    35
    an eine kostenlose Ausbildung; man brauchte nur das sogenannte
    »Landexamen« mit Erfolg zu bestehen. Dieses Examen diente dazu,
    aus ganz Schwaben jährlich etwa fünfundvierzig Knaben im Alter von
    vierzehn Jahren auszuwählen, die dann als Stipendiaten in eines der
    vorbereitenden Seminare (Maulbronn, Blaubeuren, Schönthal, Urach)
    und später auf Staatskosten an der Tübinger Universität, ins
    weltberühmte theologische »Stift« aufgenommen wurden. Diese
    Prüfung blieb auch dem jungen Hesse nicht erspart. Um aber
    zugelassen zu werden, mußte der Knabe vor allem schwäbischer
    Staatsbürger werden. Der Vater ließ ihn also zum Zweck der
    theologischen Karriere Anno 90 oder 91 eigens naturalisieren und in
    Göppingen die Lateinschule besuchen.
    Die Darstellung des Landexamens und der Seminaristenzeit in
    »Unterm Rad« ist lebensgetreu. Nur heißt der Vater Joseph
    Giebenrath und ist nicht Missionsprediger, sondern Zwischenhändler
    und Agent. Nur ist das Erlebnis in einer Art Spaltung der
    Persönlichkeit, die auch sonst in Hesses Büchern, so im

Weitere Kostenlose Bücher