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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
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in eine
    Beziehung bringt. Es ist dieselbe atemlose Gewissensangst und
    unbewußte Verstrickung, die ihn sich später für die Analyse und für
    psychotische Fragen interessieren läßt. Es ist auch dasselbe
    Erschrecktwerdenkönnen durch unvermutet im Gespräch, im
    Erleben, im Briefwechsel auftauchende peinliche, unliebsam
    Erinnerungen und Berührungen; eine Gemütsanlage, die Hesse mit
    Gottfried Keller teilt und die hier wie dort den Verkehr mit dem
    Dichter mitunter ihm zur Qual gestaltet. Im Barbara-Erlebnis seiner
    frühen Kindheit tritt die entsetzende, schreckende Welt, die mehr als
    ausgeprägte, die halluzinierte Mahnung von Vater und Mutter mitten
    im Wachtraum zutage. An anderen Stellen seiner Dichtungen ist
    diese Stimme nur als ein unterirdisch grollender Donner, als ein
    blitzendes Zucken über den heiteren Himmel hin vernehmbar.
    Hier in der Basler Zeit und im »Hermann Lauscher« ist auch schon
    jene sehr gefährdete, zerbrechliche, übersensible Kinderseele
    namhaft gemacht, die als »Pierre« in dem Eheroman »Roßhalde«
    (1914) nach langer Verschüttung und Verschüchterung wieder
    lebendig wird: Was ist der Regenbogen? Warum winselt der Wind?
    Woher kommt das Verwelken der Wiesen, woher das Wiederblühen?
    Wozu die Analogie in »Roßhalde« lautet: »Ich möchte das verstehen,
    was die Rotkehlchen zueinander sagen. Und ich möchte auch einmal
    sehen, wie es die Bäume machen, daß sie mit ihren Wurzeln Wasser
    trinken und so groß werden können. Ich glaube, das weiß gar
    niemand richtig. Der Lehrer weiß eine Menge, aber lauter langweilige
    Sachen.« »Auf solche Fragen«, sagt Hermann Lauscher, »ging mein

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    Vater, wenn die Weisheit oder Geduld der Mutter zu Ende war, oft
    mit unvergleichlicher Liebe und Feinheit ein.«
    Von einem Orbis pictus ist sodann die Rede, von einem
    Lieblingsbilderbuch, das den Dichter von der ersten Schaulust bis
    weit ins reifende Knabenalter begleitete und das in seiner
    Phantasiewelt »die umgekehrte Rolle des Robinson und Gulliver in
    der wirklichen spielte«. Auch Züchtigungen von der Hand des zärtlich
    geliebten Vaters werden erwähnt. Lauscher setzt diesen
    Züchtigungen, die er als Strafart durchaus anerkennt, zwar »meist
    Trotz und Schweigen« entgegen; »aber«, sagt er, »mein kleines
    Herz empfand sie unsäglich bitter, weh und beugend: Sie sind die
    frühesten Leiden, auf die ich mich besinnen kann, und in der
    Vorstellung, die ich von meinen Kinderjahren habe, die einzigen
    Trübungen, die noch vor der Schulzeit eintraten.« Einmal in jenen
    Jahren, nachdem er die Rute bekommen, singt der kleine Dichter
    abends im Bett und sagt dann: »Gelt, ich singe so schön wie die
    Sirenen und bin auch so böse wie sie?« Nur das Rätsel der Schläge
    berührt ihn, nicht die Züchtigung selbst, nur ihr Bezug auf die Eltern,
    denen gegenüber er sich eine dämonisch verführende Schönheit, und
    zwar die weibliche, zuschreibt.
    An der Verzeihung der Mutter, die er abgöttisch verehrt, scheint dem
    Knaben mehr gelegen als an derjenigen des Vaters. »Der erste
    Abend«, so fährt Hermann Lauscher in seiner Erzählung fort, »an
    dem ich ohne Kuß und ohne Begleitung der Mutter stumm und scheu
    zu Bette ging, ist mir noch wohl erinnerlich. Vielleicht hat, sooft auch
    später mir das Wasser an die Kehle ging, doch das Gefühl
    namenlosen Schmerzes und Zwiespaltes niemals mehr so unsäglich
    auf mir gelastet wie an jenem traurigen Abend. Es war auch der
    erste Abend, an welchem ich nicht zu beten vermochte. Der Wortlaut
    meines Betverses stockte mir auf der Zunge und zeigte mir zum
    erstenmal seinen schweren Ernst und würgte mich wie einen
    Erstickenden.« Auch hier wieder führt das Erleben zur Komplikation.
    Das sehr kluge, sehr hoch geartete Kind kann den zarten Sinn der
    Frömmigkeit und die unzarte Art der Züchtigung nicht in Einklang
    bringen. Dieses Kind wird später die hohen Worte der Erzieher aufs
    genaueste mit ihrem persönlichen Verhalten vergleichen und streng

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    zu unterscheiden wissen zwischen frommer Liebhaberei und
    zärtlicher Gotteshingabe aus ganzem, durchlichtetem Wesen.
    Doch genug von »Hermann Lauscher«. Nein, eine kleine Episode
    noch. Der Junge hat unbeabsichtigt im Eifer mit der Schleuder das
    Fenster eines armen Handwerkers zerschossen. Man verklagt seinen
    Mutwillen; er leugnet die Absicht, wird hart gezüchtigt und glaubt
    nun, seinen Trotz nicht brechen lassen zu dürfen. Vater und Sohn
    schweigen tagelang; ein Schatten

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