Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
liegt auf dem Hause. Der Vater
muß für eine Woche verreisen und hinterläßt ein Brieflein: »Ich habe
dich für ein Vergehen bestraft, das du nicht gestanden hast. Hast du
die Sache dennoch begangen und mich also angelogen, wie soll ich
dann noch mit dir reden? Ist's anders, dann habe ich dich mit
Unrecht geschlagen. In einer Woche, wenn ich wiederkomme, sollte
doch einer von uns dem andern verzeihen können.«
Es ist, wie man sieht, ein prächtiger Vater, aber es ist auch ein früh
selbstbewußter Sohn, den man nicht wie ein Kind behandeln kann;
der in den Schlägen einen Handel zwischen zwei erwachsenen
Männern empfindet, von denen der jüngere dem bejahrten auf
Gedeih und Verderb übergeben ist. »Am nächsten Tage«, sagt der
Dichter, »kam ich mit dem Blatt ans Bett meiner Mutter, weinte und
fand keine Worte... Abends saß ich seit langer Zeit zum erstenmal
meiner Mutter zu Füßen und hörte sie erzählen wie in den
Kleinkinderjahren. Es kam so süß und mütterlich von ihrem Munde,
aber was sie erzählte, war kein Märchen. Sie sagte mir von Zeiten,
da ich ihr fremd geworden sei und wie da ihre Angst und Liebe mich
begleitete; sie beschämte und beglückte mich mit jedem Wort, und
dann redeten wir beide mit Namen der Liebe und Ehrfurcht von
meinem Vater und freuten uns mit Sehnsucht auf seine Heimkehr.«
Die kleine Episode erinnert bereits an die schmerzlich umliebte Frau
Eva im »Demian«.
Der »Lauscher« enthält auch einen Anhang früher Gedichte. Eines
davon, »Philosophie« betitelt, scheint an die Lektüre Schopenhauers
anzuschließen. Die erste Strophe lautet:
30
Vom Unbewußten zum Bewußten,
Von da zurück durch viele Pfade
Zu dem, was unbewußt wir wußten,
Von dort verstoßen ohne Gnade
Zum Zweifel, zur Philosophie,
Erreichen wir die ersten Grade
Der Ironie.
Ehe ich aber die Darstellung der Kindheit abschließe, möchte ich
diese ersten Basler Jahre noch durch einige Auszüge aus dem
Familientagebuch ergänzen. Es ist bei den Eintragungen der Mutter
mitunter, als gebe sie irrtümlich das Alter des Knaben um einige
Jahre höher an, als es der Wirklichkeit entspricht. So gleich bei
Beginn des Basler Aufenthaltes, wenn es da heißt: »Die Kinder
freuen sich sehr der netten Wohnung, ländlichen Umgebung, des
Gartens und Hofes, wo sie sich fleißig tummeln. Bei einem großen
Baum im Missionshausgarten schreit Hermann: Au! An dem bliebe
der Absalom mit seinem Haar gewiß auch hängen!« Woher kennt das
vierjährige Kind die Geschichte vom Absalom? Die Mutter mag sie
ihm als eine abschreckende Heldengeschichte erzählt haben; denn
Absalom, das ist doch der Abtrünnige, der seinem Vater den Krieg
macht; der alles Volk um Haupteslänge überragt und der auf der
Flucht vor dem Vater mit den Haaren (das ist mit seiner besten
Kraft) am Baume (das ist am Symbole der Mutter) hängenbleibt.
Man lese in der »Wanderung« und auch im »Bilderbuch« (»Besuch
aus Indien«) nach, was die Bäume für Hesse noch anderes bedeuten.
In Basel fühlt sich die Mutter sehr wohl. »Wir teilen«, so schreibt sie,
»nun Freud und Leid mit der Basler Mission, und das macht uns reich
und glücklich.« Oder: »Hier ist ein so reicher Verkehr, so viel
Anregung aus der Missionswelt, das Herz wird immerfort in Anspruch
genommen, und man muß in der Fürbitte mehr einstehen als
anderswo, denn die heimkehrenden Kranken, die ausziehenden
jungen Geschwister, die Kinderlein und der Abschied von ihnen,
Nachrichten von Todesfällen und so weiter greifen ins Herz.« Es ist
eine Mutter der großen Missionsfamilie, der Todgeweihten und ihrer
Hintersassen. Sie könnte Äbtissin eines im Brennpunkt der geistigen
Interessen stehenden Klosters oder auch eine Fürstin sein.
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Des Knaben fröhliche Lebendigkeit gerät mit diesem dunklen, ihm
nicht einzig zugewandten Leben, in dem er nur ein Rädchen sein soll,
in Konflikt. Die Mutter notiert von ihm: »Hermann geht in die
Kinderschule; sein heftiges Temperament macht uns viel Not...« Die
Bücher der Könige beschäftigen ihn sehr. Besonders die Salbung zum
König. »Möcht' nur wissen«, sagt er, »wie man aus Öl etwas werden
kann! Den David hat der Samuel zum König gesalbt, aber Öl kann
doch jetzt mich nicht zum König machen!« Das ist sehr früh eine
kernprotestantische Spekulation über den Sinn der Weihe und
Zeremonie, und sie zeigt, daß sich der Junge zu hohen Dingen
bestimmt und geboren fühlt.
Auch eine
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