Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
schwäbischen
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Frömmigkeit, erreicht die Stiftlerneurose bei ihm eine Heftigkeit, die
seine Vorgänger um einige Siedegrade überbietet.
Die biographischen Einzelheiten jener Jahre sind schärfer und
brennender, als man in »Unterm Rad« sie dargestellt findet. Hesse
hat, umgekehrt, als es heute üblich ist, die Mitteilung abgeschwächt;
wie er auch im »Presselschen Gartenhaus« nur den schönen Schein,
die Harmonie, die Konkordanz der Klänge und der Seelen, die
Obertöne hat leuchten lassen. Der junge Hesse empfindet in
Maulbronn ganz offenbar, daß dieses Institut eine Fortsetzung der
Basler Knaben- und Missionsschule ist, aus der er so stumm und
gedrückt zur zärtlich geliebten Mutter zurückkam. Er hat, als er nach
Göppingen in die Lateinschule geht, das Vaterhaus nur widerwillig
verlassen. All seine Träume kreisen nur um die Heimat. Ein
Knabengedicht von damals schließt mit dem Reim:
Die Welle rauschte so frisch, so kalt,
Ihr Sang ergriff mich mit Himmelsgewalt.
Wer wollte da in die Fremde gehn,
Wenn's in der Heimat so wunderschön.
Wie sangen die Nixen so wunderbar,
Wie zog mir der Abendwind durchs Haar.
Es glühte der Berg in goldenem Schein.
Ich sollte die Heimat verlassen? Nein!!
Er empfindet wohl, daß ein System vorliegt; daß sein Traum
gebrochen, daß er »getötet« werden soll. Er wird noch nicht wissen,
weshalb, aber er weiß, daß er hier nicht ducken darf.
Es gibt einen Aufsatz des Dichters, »Eigensinn« betitelt; nicht aus
seinen Knabenjahren, sondern aus der Berner, der Kriegszeit, die
eine Art Wiederholung für Hesse war, indem der einzelne, auch wenn
er den Himmel selbst in sich trug, ähnlich wie damals
»herangezogen« und verstaatlicht werden sollte. Der Aufsatz ist,
unter dem Namen Emil Sinclair, 1919 in »Vivos voco« erschienen.
»Eine Tugend gibt es«, so lautet der erste Satz, »die liebe ich sehr,
eine einzige. Sie heißt Eigensinn... Tugend ist: Gehorsam. Die Frage
ist nur, wem man gehorche. Nämlich auch der Eigensinn ist
Gehorsam. Aber alle anderen so sehr beliebten und belobten
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Tugenden sind Gehorsam gegen Gesetze, welche von Menschen
gegeben sind. Einzig der Eigensinn ist es, der nach diesen Gesetzen
nicht trägt. Wer eigensinnig ist, gehorcht einem anderen Gesetz,
einem einzigen, unbedingt heiligen, dem Gesetz in sich selbst; dem
Sinn des ›Eigenen‹... Nur der Held ist es, der den Mut zu seinem
eigenen Schicksal findet.«
Die Entstehung dieses Aufsatzes in der Demian-Zeit deutet auf den
Ursprung und auf die parallele Situation. Zwei Welten stehen sich
gegenüber: der heilige Wille des »eigenen Sinnes« und das den
priesterlich-frommen Eltern ebenso heilige Gesetz des strengsten
Gehorsams. Aber der junge Hesse ist bereit, auch als Kaputtmacher
und Grobian zu gelten; er ist geneigt, trotz »Gottesgesetz und
Verbot« seine innere Welt zu behaupten. Er ist, aus Maulbronn
weglaufend, bereit, bei neun Grad Kälte im Freien in einem
Heuschober zu übernachten, ohne Mantel, ohne Handschuhe, ohne
Geld, und sich von einem Gendarmen einbringen zu lassen. Nur
»Chattus puer« will er bleiben, ein taciteischer Hessenknabe; er ist
nicht gesonnen, zu kapitulieren.
Hier mögen einige Auszüge aus dem Tagebuch der Mutter folgen:
1888. Der Vater reist zur Missionskonferenz nach London; wohnt bei
Lord Radslock und bei der Mutter des Generals Mackenzie. Hermann,
der in den Ferien zur Großmutter reisen darf, bekommt dort plötzlich
so unwiderstehliches Heimweh, daß er zu Fuß mit schwerem
Rucksack müde und unerwartet zu Hause wieder eintrifft.
1889. Theodor (Hermanns elf Jahre älterer Stiefbruder) hat sich trotz
Widerstand, Spott und Hohn eine Anstellung als 1. Tenorist an der
deutschen Oper in Groningen erkämpft. (Durch Theodor und Karl
Isenberg lernt Hesse schon früh die Chorwerke der Händel und Bach,
die Mörikelieder des Hugo Wolf und wohl auch Mozart, Gluck und
Haydn kennen. Der Musikerroman »Gertrud« erinnert daran.)
1890. »Hermanns Versetzung nach Göppingen sichtlich gesegnet...
im Frühling«, sagt die Mutter, »schrieb ich mit viel Lust und Freude
Bischof Hanningtons Leben und lebte mich recht warm in die
Uganda-Mission ein.«
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1891. Hermann besteht das Landexamen und tritt im Herbst ins
Kloster Maulbronn ein. »So hat der liebe Gott treulich für ihn
gesorgt... Im Frühling begann ich David Livingstones Leben, das mir
viel Arbeit, aber auch sehr, sehr viel Freude und bleibenden
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