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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
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viel anfangen. Dazu
    kommt, daß das schwäbische Elternhaus mit seiner behaglichen
    Sphäre von Märchen und Lebkuchen eine deliziöse Traumwelt
    gezüchtet hat, die jeder kalten Maßregelung Hohn spricht.
    Die Schwaben sind ein dokumentierendes Volk. Auch in der Literatur
    muß die Stiftlerneurose zu finden sein. Und so ist es auch. Nicht von
    ungefähr hat Hesse seine schönste Novelle, »Im Presselschen
    Gartenhaus«, den drei schwäbischen Dichtern Hölderlin, Waiblinger
    und Mörike gewidmet. Alle drei hatten die typische Stiftlerneurose.
    Hölderlin hat in Maulbronn schrecklich gelitten. »Ich will dir sagen«,
    schreibt er an Immanuel Nast, »ich habe einen Ansatz von meinen
    Knabenjahren, von meinem damaligen Herzen, und der ist mir noch
    der liebste, das war so eine wächserne Weichheit... aber eben dieser
    Teil meines Herzens wurde am ärgsten mißhandelt, so lang ich im
    Kloster bin, selbst der gute lustige Billinger kann mich ob einer wenig
    schwärmerischen Rede geradezu einen Narren schelten, und daher
    hab ich nebenher einen traurigen Ansatz von Roheit, daß ich oft in
    Wut gerate, ohne zu wissen warum, und gegen meinen Bruder
    auffahre, wenn kaum ein Schein von Beleidigung da ist...«
    Nicht viel anders steht es mit Waiblinger und Mörike in ihren Kloster-
    und Stiftlerjahren. Waiblinger, der Freund Hölderlins, Verfasser eines
    »Phaëton« und unzähliger Reisebriefe, ein Wanderpoet, wie ihn
    selbst Schwaben in einem halben Jahrhundert nur einmal
    hervorgebracht hat, Waiblinger liebt nicht so sehr das königliche
    Stipendium als ein Mädchen von »königlich Ossianischem Geist«, das
    von der Ostsee herkam. »In meinen Armen lebte sie, fast wahnsinnig
    in dieser Feuerliebe, mit mir melancholisch und bacchantisch, in
    unermeßlichen Schwärmereien, aufgezehrt und aufgeliebt durch
    meine zerstörende Leidenschaft...« Es wird nicht ganz so schlimm
    gewesen sein; er war ein echter Dichter, und deren Exzesse steigern
    sich mit der Unmöglichkeit, sie zu begehen. Er deponiert seines
    Mädchens Geschichte: »einen Roman von zweihundert Bogen mit
    grenzenloser Wildheit geschrieben... Ich spiele dabei den Lustigen,

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    den Trinker, den Possenreißer, den Bonvivant, den Narren, den
    Pousseur, treibe mich in verliebten Abenteuern umher und mache
    Schulden, gelte hier nur als Atheist, und hab im Grunde alle zum
    Narren.« Es bedarf keiner Versicherung, daß seine Mitkandidaten ihm
    aus dem Wege gehen; daß er sich Rüffel und Strafen zuzieht. Als er
    am Ende das Stift verläßt, ist er gerne bereit, sich sogar in Rom, nur
    nicht in Schwaben, zum Prediger anzulassen. Griesebach hat seine
    Oden und Elegien ediert; Platen hat ihn geschätzt; in Rom, zwischen
    Shelley und Goethens Sohn, liegt er begraben.
    Und nun Mörike, den Hesse im »Presselschen Gartenhaus« mit dem
    genialisch flackernden Waiblinger so geheimnisvoll kontrastiert! Ihn
    hat's in Urach getroffen. Dort wurde die Freundschaft mit Waiblinger
    geschlossen, eine ähnliche Freundschaft, wie Hesse sie in »Unterm
    Rad« geschildert hat; auch mit ähnlichen Folgen für den
    behutsameren, stilleren der beiden Dichter. Mörike löste diese
    Freundschaft,
    aber
    dieselben
    Kopfschmerzen,
    dieselbe
    Schlaflosigkeit, wie Hesse sie von Hans Giebenrath und gelegentlich
    von sich selbst gesteht und beschrieben hat, eine gewisse
    »Agrypnia« und vis inertiae sind Mörike geblieben, bis er, manche
    Jahre später, auf Anraten des Dr. Justinus Kerner eine
    »sympathetische Kur« beim älteren Blumhardt in Möttlingen
    durchmacht; eine Kur, von der sein Biograph versichert, daß sie eine
    ganz überraschend glückliche Wirkung auf Mörikes Nerven ausgeübt
    habe. Nebenbei: das Presselsche Gartenhaus war ein einfaches
    Hüttchen, das Waiblinger auf dem Osterberg bei Tübingen besaß.
    Wie schon in Urach ein solches Hüttchen zum Schauplatz
    dichterischer Erlebnisse geworden war, so tauchten die Genossen im
    Presselschen Gartenhaus beim Schein einer Wachskerze in die
    Dämmer romantischen Fingierens. Hierher, in diesen Auslug, ließ der
    erkrankte Hölderlin sich gerne führen, und hier erstand der Traum
    vom Götterland Orplid.
    Auch in der Literatur ist also der Stiftlerkonflikt nicht ungewöhnlich.
    Hesse bleibt damit in der Tradition. Seine schöne Erzählung vom
    Presselschen Gartenhaus, diese immergrüne Erzählung bestärkt nur
    seine Verbundenheit. Da aber Hesse die Quintessenz der Romantik
    zieht und seine Familie ebenso die Quintessenz der

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