Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
daß dieser Name aus damaligen dämonologischen
Studien des Dichters stamme und daß Dämon-Demian in dem Worte
daemoniacus ihre gemeinsame Wurzel haben. Die Figur des
Steppenwolfes ist ja ebenfalls eine dämonische Inkarnation. Das
erste Hervortreten einer scheinbar antinomistischen Veranlagung ist
ohne Zweifel durch die Begegnung mit Pfarrer Blumhardt gegeben.
Die Familie des Dichters aber weiß schon aus dem zartesten
Kindesalter von einem ganz schlimmen Furor zu berichten, wo man
kaum wußte, was man mit ihm machen sollte.
Im »Demian« sind bizarre Wunschbilder gestaltet, die ohne Kenntnis
der Voraussetzungen ebenso wie im »Steppenwolf« erstaunen und
befremden. Demian, zu dem es kein Urbild aus der Realität gibt,
keinen Freund, der etwa als Muster gedient haben könnte, Demian
ist ein Wesensteil des Dichters selbst. Emil Sinclair aber, dessen
Jugendgeschichte erzählt wird, ist ebenso wie Hermann Lauscher ein
Pseudonym. Demian, Hesses Traum-Ich, von dem im Sinclair-Roman
geflüstert wird, es lebe mit seiner Mutter im Inzest; Demian, der die
Abraxas-Mythologie vertritt, die gnostische Umsturzidee, ist der
Verführer Sinclairs. Von Emil Sinclair aber heißt es im Roman, daß er
mit Frau Eva, der Mutter Demians, ebenfalls in die innigste
Beziehung tritt. Frau Eva ist die Mutter an und für sich, das
Natursymbol der Mutter, die moderne Isis. So faßte sie noch jüngst
Bernoulli in seinem bedeutsamen Bachofen-Werke auf.
Hesses Seminaristenkonflikt aber ist die wahnwitzige, ihm damals
kaum bewußte Liebe zum Symbol der Mutter in ihrer unbegrenzten
Hingabe; zu derselben Mutter, die in der Erfahrungswelt ein so
kühles, jenseitiges Tagebuch führt; die von ihrem elften bis zu ihrem
fünfzehnten Jahr in der Pietistensiedlung Kornthal erzogen ist, von
noch bestehenden Herrnhutischen Gemeinden, der strengsten
vielleicht in ganz Deutschland. Die Mutter hat sich mit siebzehn
Jahren »bekehrt«, das heißt Gott geweiht, und das ist bei ihr kein
bloßes Wort. Ihr ganzes Leben ist ein Versuch, gleich ihrem Vater
dem Vorbild der großen Missionsheiligen, einem Jeremias Flatt,
einem Henry Martyn nachzueifern. Sie ist darum keineswegs eine
Frömmlerin und ein Unmensch. Sie ist nicht grausam, glaubt es
wenigstens nicht zu sein. Sie liebt ihre Kinder, singt und spielt mit
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ihnen. Aber ihr Heroismus ist so stark, daß er sich wider Willen
ausprägt.
Sie hat unberührbare, unbetretbare Sphären ihrer Inbrunst, ihrer
Glut. Sie liebt sehr die Poesie; sie dichtet selbst und rezitiert mit
schöner, begeisterter Stimme Balladen. Sie liebt Eichendorff in
seinem jenseits verankerten Wesen und ist eine Virtuosin im
Erzählen. Sie liebt die Musik und hat die Stimme wie eine helle
Glocke; doch sie liebt im Grunde nur Psalmen und Choräle. Eine
warme Kälte strömt von ihr aus. Ihr französisches Calvinistenblut hat
eine Leidenschaft für das Unbedingte, das Letzte und Höchste im
Leben; eine Leidenschaft, die der Sohn mit ihr teilt. Ihre Ehe dient
den Zwecken der Mission und der Verbreitung des Evangeliums. Ihre
Liebe ist von Gott und für ihn; nicht von den Menschen und für
Menschen. Sie liebt ihre Kinder, aber als Geschöpfe Gottes, und sie
würde sich einen Skrupel und eine Selbstanklage daraus machen,
diese ihre Kinder einem armen Waisenkinde vorzuziehen. Diese
Mutter ist unzugänglich für jeden sinnlichen Impuls; für jede
narzißtische Eigenliebe, die um sie werben könnte. Ja, jedes
Anzeichen von Sinnentrieb und Unbeherrschtheit, von unbewachter
Regung und gar von Exzeß wird sie verletzen, wird sie tiefer in ihre
andere Welt entrücken; wird Kälte und Befremdung zur Folge haben.
»Der Fremde« heißt ein Roman von René Schickele, dessen
Temperament demjenigen Hesses mitunter verwandt scheint. In
diesem Roman ist das Verhalten eines jungen, aufgewühlten
Menschen zu einer ähnlich gearteten katholischen Mutter
beschrieben, sogar unter ähnlichen seelischen Umständen. »Sie war
das Symbol einer fernen Liebe gewesen«, so heißt es da, »die ihm
ganz gehörte. Nun fühlte er plötzlich, daß sie sich ihm entzog und
ihre Eigenheit gegen ihn, der kein Kind mehr war, behauptete. Und
dann schoß es glühend in ihm auf: er wollte sie zwingen, ihn anders
als bisher zu lieben. Das Weib in der Mutter gehörte ihm nicht. Er
entdeckte plötzlich, daß er danach dürstete, daß dies die jahrelange
Unruhe seiner Sehnsucht gewesen war und daß er jetzt alles
gewänne oder
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