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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
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schweigen darf, das ist die
    Bedeutung dieser Malerei als einer Kunst der Selbsterfassung. Hier
    vor der Natur, vor der tessiner Sonne, im Freien, bei verbranntem
    Schädel und einem mageren Stück Brot, werden Hesses Bücher
    konzipiert. Er sitzt ganz allein irgendwo an einer Wiese, bei einem
    Rokkolo, in einem Weingarten oder am Waldrand. Er verspielt sich
    mit den Linien der Landschaft, mit den Formen eines Baumes, mit
    lauter Dingen, die dableiben werden, auch wenn der Maler mit dem
    scharfen Vogelgesicht und Vogelblick einmal nicht mehr kommen
    wird. Er sucht seine Augen präzis mit den Gegenständen in

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    Übereinstimmung zu bringen; er läßt keine Musik dazwischen
    pantschen. Er sucht den Zustrom aus dem Herzen, aus dem Kopfe
    knapp in den Umriß zu zwängen; er dichtet in die Natur hinein. Und
    so fügt sich im Handumdrehen ein Buch wie die »Wanderung«
    zusammen, mit Bildern, Versen, verspielten Aperçus und einer
    Lebewelt, die überall im Flug die letzten Dinge streift.
    Die Flucht aus dem Norden ist jetzt ganz ruhig gesehen als ein
    Sichablösen und -wiederfinden, als ein Genesen, als eine
    gnadenfrohe Entlastung. Was im »Klingsor« das Erlebnis eines
    halben Jahres war, das ist in der »Wanderung« ein Erlebnis von
    Jahren. Die Prosa des Dichters hat ihre äußerste Finesse und
    Lichtempfindlichkeit erreicht. Die Dinge werden so erzählt, daß man
    förmlich zusieht, wie der Dichter zugleich die Palette benutzt. »Sind
    neue Götter erfunden, neue Gesetze, neue Freiheiten?« Alles in
    diesem Buche ist hell, weiß, durchsichtig, noch einmal weiß, und ein
    Schwung durch grüne, gläserne Bereiche. Die Gefühle sind Kristall
    geworden und klingen beim Berühren. Die Vertauschung eines
    Buchstabens genügt, um aus der Wanderung eine Wandelung zu
    machen, und auch dann ist es richtig. Jung und gestrafft ist die
    Sprache; sehnig und mager wie die ausgemergelten Weinstöcke, die
    im Herbst voll runder, reifer Trauben hängen. Immer und in jedem
    Wort ist des Dichters ganzer Besitz zugegen und greifbar. Es ist kein
    Mystizismus, kein falscher Ton, kein schrilles Sentiment mehr zu
    finden. Es sind keine Deutungen mehr nötig; alles Wichtige ist direkt
    gesagt, und es soll nicht mehr gesagt sein, als vorhanden ist.
    Der Wanderer hat kaum mehr einen Schatten, und er hat keine
    Camera obscura mehr. Es gibt in diesem Buche auch keine vis
    inertiae wie in der »Nürnberger Reise« wieder und immer, wenn der
    Norden auftaucht. Eine Art ionischen Dialektes schreitet heiter und
    unvertrübt durch das Buch. Und da ist gleicherweise etwas von der
    Weisheit der Chinesen und vom Paradiese des Ägidius von Assisi;
    aber von beiden wird gar nicht gesprochen. Man halluziniert sie beim
    Lesen. Und das ist es eben: diese Sprachkunst ist so groß, daß sie
    Worte bilden läßt, die sie gar nicht zu nennen, ja nicht einmal zu
    berühren braucht. Wenn ich diese »Wanderung« recht zu lesen und
    zu hören verstehe, dann ist Eichendorff zwar genannt, aber Stifter,
    der nicht genannt ist, ist viel mehr zugegen. Und auch der

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    Schwarzwald ist kaum genannt, und doch rauscht er, und Indien
    mischt sich ein, und ein Vogelgezwitscher dazwischen. Und was in
    diesem Buche genannt ist, das dient nur zum Verdecken und
    Verschweigen der Fülle, die dahinter steht. Es ist, als habe sich der
    Dichter die äußerste Enthaltsamkeit, ein Nichttrinken, Nichtessen,
    Nichtaufnehmen, Nichtreagieren verschrieben. Es ist, als erzwinge
    er, sehr bewußt, den Rückzug aller seiner Besetzungen aus der
    gefährlichen Klingsorwelt.
    Und dann ist eines Tags auch der »Siddhartha« fertig, das Gedicht
    von dem indischen Priestersohn, der von zu Hause wegstrebt, um die
    unfruchtbare Entselbstung zu verlernen, und der doch, obgleich er
    durch die Schule der Kurtisane und des Kaufmanns ging, ein
    Erleuchteter, ein Buddha, sogar ein Asket geblieben ist. Und nun ist
    diese Dichtung »Siddhartha« durch den »Klingsor« scheinbar
    widerlegt, weil die Empfängnis der indischen Dichtung viel weiter
    zurückreicht als die des »Klingsor«, und es klafft eine Dissonanz
    zwischen dem lebensgierigen Flüchtling, der sich vor dem Untergang
    mit allen Sinnen ans Leben klammert, und der sehr nüchternen
    Ekstatik des Brahmanensohnes, der aus den kühlen Hallen eines
    sinnenfremden Vaterhauses kommt. Und es wird auffällig, daß es
    Hesses Schicksal zu sein scheint, sich im Gegensatze fortzubewegen.
    Kaum hat er ein Erlebnis bis zum Rest erschöpft und gedeutet,

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