Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
schweigen darf, das ist die
Bedeutung dieser Malerei als einer Kunst der Selbsterfassung. Hier
vor der Natur, vor der tessiner Sonne, im Freien, bei verbranntem
Schädel und einem mageren Stück Brot, werden Hesses Bücher
konzipiert. Er sitzt ganz allein irgendwo an einer Wiese, bei einem
Rokkolo, in einem Weingarten oder am Waldrand. Er verspielt sich
mit den Linien der Landschaft, mit den Formen eines Baumes, mit
lauter Dingen, die dableiben werden, auch wenn der Maler mit dem
scharfen Vogelgesicht und Vogelblick einmal nicht mehr kommen
wird. Er sucht seine Augen präzis mit den Gegenständen in
146
Übereinstimmung zu bringen; er läßt keine Musik dazwischen
pantschen. Er sucht den Zustrom aus dem Herzen, aus dem Kopfe
knapp in den Umriß zu zwängen; er dichtet in die Natur hinein. Und
so fügt sich im Handumdrehen ein Buch wie die »Wanderung«
zusammen, mit Bildern, Versen, verspielten Aperçus und einer
Lebewelt, die überall im Flug die letzten Dinge streift.
Die Flucht aus dem Norden ist jetzt ganz ruhig gesehen als ein
Sichablösen und -wiederfinden, als ein Genesen, als eine
gnadenfrohe Entlastung. Was im »Klingsor« das Erlebnis eines
halben Jahres war, das ist in der »Wanderung« ein Erlebnis von
Jahren. Die Prosa des Dichters hat ihre äußerste Finesse und
Lichtempfindlichkeit erreicht. Die Dinge werden so erzählt, daß man
förmlich zusieht, wie der Dichter zugleich die Palette benutzt. »Sind
neue Götter erfunden, neue Gesetze, neue Freiheiten?« Alles in
diesem Buche ist hell, weiß, durchsichtig, noch einmal weiß, und ein
Schwung durch grüne, gläserne Bereiche. Die Gefühle sind Kristall
geworden und klingen beim Berühren. Die Vertauschung eines
Buchstabens genügt, um aus der Wanderung eine Wandelung zu
machen, und auch dann ist es richtig. Jung und gestrafft ist die
Sprache; sehnig und mager wie die ausgemergelten Weinstöcke, die
im Herbst voll runder, reifer Trauben hängen. Immer und in jedem
Wort ist des Dichters ganzer Besitz zugegen und greifbar. Es ist kein
Mystizismus, kein falscher Ton, kein schrilles Sentiment mehr zu
finden. Es sind keine Deutungen mehr nötig; alles Wichtige ist direkt
gesagt, und es soll nicht mehr gesagt sein, als vorhanden ist.
Der Wanderer hat kaum mehr einen Schatten, und er hat keine
Camera obscura mehr. Es gibt in diesem Buche auch keine vis
inertiae wie in der »Nürnberger Reise« wieder und immer, wenn der
Norden auftaucht. Eine Art ionischen Dialektes schreitet heiter und
unvertrübt durch das Buch. Und da ist gleicherweise etwas von der
Weisheit der Chinesen und vom Paradiese des Ägidius von Assisi;
aber von beiden wird gar nicht gesprochen. Man halluziniert sie beim
Lesen. Und das ist es eben: diese Sprachkunst ist so groß, daß sie
Worte bilden läßt, die sie gar nicht zu nennen, ja nicht einmal zu
berühren braucht. Wenn ich diese »Wanderung« recht zu lesen und
zu hören verstehe, dann ist Eichendorff zwar genannt, aber Stifter,
der nicht genannt ist, ist viel mehr zugegen. Und auch der
147
Schwarzwald ist kaum genannt, und doch rauscht er, und Indien
mischt sich ein, und ein Vogelgezwitscher dazwischen. Und was in
diesem Buche genannt ist, das dient nur zum Verdecken und
Verschweigen der Fülle, die dahinter steht. Es ist, als habe sich der
Dichter die äußerste Enthaltsamkeit, ein Nichttrinken, Nichtessen,
Nichtaufnehmen, Nichtreagieren verschrieben. Es ist, als erzwinge
er, sehr bewußt, den Rückzug aller seiner Besetzungen aus der
gefährlichen Klingsorwelt.
Und dann ist eines Tags auch der »Siddhartha« fertig, das Gedicht
von dem indischen Priestersohn, der von zu Hause wegstrebt, um die
unfruchtbare Entselbstung zu verlernen, und der doch, obgleich er
durch die Schule der Kurtisane und des Kaufmanns ging, ein
Erleuchteter, ein Buddha, sogar ein Asket geblieben ist. Und nun ist
diese Dichtung »Siddhartha« durch den »Klingsor« scheinbar
widerlegt, weil die Empfängnis der indischen Dichtung viel weiter
zurückreicht als die des »Klingsor«, und es klafft eine Dissonanz
zwischen dem lebensgierigen Flüchtling, der sich vor dem Untergang
mit allen Sinnen ans Leben klammert, und der sehr nüchternen
Ekstatik des Brahmanensohnes, der aus den kühlen Hallen eines
sinnenfremden Vaterhauses kommt. Und es wird auffällig, daß es
Hesses Schicksal zu sein scheint, sich im Gegensatze fortzubewegen.
Kaum hat er ein Erlebnis bis zum Rest erschöpft und gedeutet,
Weitere Kostenlose Bücher