Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
ruhe und doch ein neu Lied und ein neuer Beginn aus sich
selber wäre.
Es ist nicht immer so gewesen; nicht immer klangen die Töne so voll
und sonor; so gegenwärtig und ihrer selbst gewiß. Das Künstlerideal
des jungen Hesse wächst sehr entlegen heran. Er entnimmt es aus
Büchern; sehr guten, alten, bewährten Büchern, aber immerhin der
Lektüre, nicht der Erfahrung. Er stand nicht in namhaften
Spannungen seiner Zeit; nicht im großen Strom einer Clique, einer
Richtung, einer Kameraderie hochgemuter Freunde und ebenbürtiger
Begabung. Die Großstadt hat ihn nie berührt; mit ihren Höllen nicht
und nicht mir ihren Himmeln.
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Er nimmt sein Ideal aus Biographien verschollener Zeiten; seine
Beispiele aus altitalienischen Legenden und Novellisten, seine ganze
Lebendigkeit von der Natur. Aus dem Maulbronner Seminar, wo er
den »Werther« und Heine liest, entläuft er mit allerlei Umwegen in
eine Tübinger Buchhandlung, bedient dort Studenten und
Professoren; sitzt, zwanzigjährig, in Stapeln von Büchern bis über
den Kopf und bleibt dabei immer frischer, als wenn er Germanistik
studierte. Er gerät in die Schlingen eines sentiment prémature;
schreibt schon und publiziert in angesehenen Verlagen, ohne außer
sich selbst auch nur einen einzigen zeitgenössischen Dichter gesehen
zu haben.
Seine jugendliche Auffassung vom Artisten ist diejenige, die Vasari
und der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts teuer war. Der
Dichter als spezialisierter Poet ist kaum vorhanden; er lehnt sich an
den fahrenden Gesellen, an den noch handwerklich gebundenen
Maler an. In Samtjoppe und Barett, wenn nicht eine Spielhahnfeder
am Hut, erweist dieser Künstler mit Streichen à la Boccaccio die
Kraft seines Naturells. In winkeligen Nachtquartieren weiß er
spaniolische Komplimente zu drechseln, um zu Hause in einsamer
Trauer den edleren Teil seiner Seele in Skrupeln und Wonnen
entströmen zu lassen. In dieses Ideal mischen sich die dämonischen
Geiger des Lenau, die fröhlichen Lautenschläger der Renaissance, die
musikalischen Käuze des E. T. A. Hoffmann mit ihrer schattenhaften
Vertauschung von Nacht und Tag. Und mischen sich, als der junge
Hesse aus der Tübinger Buchhandlung 1897 in eine Baslerische
einwandert, die stillen Züge studierender Mönche aus den
chronikalischen Büchern des Jacob Burckhardt.
Selbst die Ehe des Dichters vermag diesen hartnäckig abseitigen
Traum nicht zu brechen; er wird sich im eigenen Hause ein
Turmzimmer einrichten und es mit Stachligkeiten verbarrikadieren.
Die Gattin aus altem Basler Geschlecht ist viel zu tief in die
Ahnenreihe versunken; Festen und froher Geselligkeit ist sie ganz
abgeneigt. So bleibt der Künstler ein Eigenbrötler, wenn nicht ein
Widersacher; bleibt er der Einsame und Isolierte in einer entlegenen
Kammer. Erst 1911 mit einer Reise nach Indien, und eigentlich erst
im Kriege, und noch später 1919 mit der Übersiedlung von Bern in
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den Tessin beginnt die menschliche Anonymität des Autors sich
aufzulösen und mitzuteilen.
Die gleiche Schwierigkeit, zur Umwelt ein erträgliches Verhältnis zu
finden, spiegelt Hesses Werk. Ein entschiedener Realismus ist zwar
im
»Camenzind«
schon
vorhanden,
aber
drei
sehr
ungegenständliche, musikalisch-verschwärmte Erstlinge gingen
voraus. Der »Camenzind« selbst ist ein offener Affront der modernen
Kultur und Gesellschaft. Will man dies aber nicht gelten lassen, so ist
doch die Wirklichkeit, die das Buch vertritt, von der üblichen sehr
verschieden. Wenn man die Notizbücher, von denen im »Camenzind«
die Rede ist, neben die gleichzeitigen eines Zola hält, dann fehlen die
Zylinderhüte der Minister, die Strumpfbänder und die Warenhäuser;
dann fehlen die Parfüme der feinen Damen, die schwieligen
Arbeiterhände und die Karosserie einer heutigen Stadt. Dann ist
Hesses Wirklichkeit ein Ausschnitt, ein Paradies helläugiger
Knabenjahre; dann werden die sichtbaren Bilder nur anerkannt,
soweit sie Dauer und Tragkraft haben für Ton und fromme
Beströmung. Aber man täusche sich nicht! Dasselbe Werk, das erst
harmlos und idyllisch aussieht, enthält einen Gegensatz zur heutigen
Bildung, der unbehaglich und gefährlich werden kann. Nur von der
Ausdauer des Dichters hängt es ab; nur von der anwachsenden Fülle
und Umsicht seines Bestrebens.
In den am Bodensee geschriebenen Büchern ist Hesse ganz ebenso
wie im »Camenzind« bemüht, auf alle gesellschaftliche
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