Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Gegner;
für seine sinnliche sowohl wie für seine geistige Position. Wer ihn
ganz in sich aufnimmt, wird ihn überwinden.
Nun erst beginnt die sehr gewitzigte, sehr erfahrene, sehr vorsichtige
Gärtnerei des gegenwärtigen Hesse. Seine lange Abwesenheit hat
ihn vor der Verwüstung bewahrt. Sein präzises, blutig errungenes
Wort hat ein Gewicht wie kein anderes Wort von heute. Seine
Stimme wird in allen Schichten der Nation vernommen, und er ist
jung geblieben. Er hat die Problematik in sich aufgenommen und
doch nur so wie ein Traumwandler; er blieb unberührt. Elastisch und
mit angespannten Sinnen folgt er dem Gang der Dinge; dem Sturz
einer morschen Zivilisation. Mit aller Magie einer orientalischen Welt
gewappnet, empfindet er sich als den verkörperten Anachronismus.
Er steht ganz allein; er sucht nur das Leben noch einigermaßen
erträglich zu finden. Sich selbst will er erfassen, nichts anderes
mehr; doch in der eigenen Anlage, Grenze und Not den ihm
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erreichbaren Teil der Nation, sei sie mütterlich umfangend oder
kainhaft und steppenwölfisch, sei sie dem Lichte verschworen oder
dämonischem Dunkel, oder beidem zugleich in seltsamem Wechsel
von Keuschheit und Trieb.
Die Kindheit Hermann Hesses ist erfüllt von Jenseitsblumenduft und
bitteren
Todesengeln;
von
Streichelhänden,
Tränen
und
Beängstigungen, die das gewöhnliche Maß weit übersteigen. Diese
Kindheit ist tief in Geheimnisse getaucht, und Hesses Schreibweise
ist es stets geblieben. Wie in einen unergründlichen Schacht, wie in
den Brunnen des Lebens selber kehrt der Dichter stets zu den Orten
seiner ersten Kinder- und Knabenjahre zurück. Auf den frühesten
Eindrücken reiht er seine Erlebnisse auf. Immer wieder umkreist er
die Anfänge seines Lebens, schichtet alles Spätere darüber;
schneidet die Runen schärfer, wiederholt sich, läßt eine tiefere Spur.
Er kann sich nicht genugtun, dieselben Wege immer wieder zu
gehen, mit immer wieder anderen Augen dasselbe frühe Rätsel,
dasselbe versunkene Glück zu umkreisen.
Diese Kindheit mit ihren bunten Himmelsfenstern und ihren
Trauerhöllen, mit ihren morgendlich strahlenden Impulsen und ihrem
flügelmüden Verzicht; mit ihrem hellen Siegfriedwissen und ihrem
abdankenden Waffenstrecken –: sie ist in allen Büchern Hesses
vorhanden, auch wenn nicht ausdrücklich sollte von ihr gesprochen
werden. Ihre Darstellung ist Hesses eigentliche Lust, für die er eine
Mission hat; sie ist der große, alle Welt umfassende Gegenstand, der
seine Bücher unvergilbt erhalten wird. Nur um die kleine Spielwelt
geht es, die er immer wieder lächelnd aufbauen und unerbittlich
verteidigen wird, gegen Zwang und kahles Gesetz, gegen mäkelnde
Lehrer und ertappende Professoren, gegen die aasenden
Kondottieren der technischen Welt; ja gegen das eigene Altern und
gegen die eigene, vom Loben und Singen ermüdete Seele. Dieser
Dichter ist der getreue Eckehart, der uns den Wunderkrug füllt.
Über die ersten drei Kindheitsjahre in Calw berichtet das Tagebuch
der Mutter: »Am Montag, den 2. Juli 1877, nach schwerem Tag
schenkte Gott in seiner Gnade abends ½7 Uhr das heißersehnte
Kind, ein sehr großes, schweres, schönes Kind, das gleich Hunger
hatte, die hellen blauen Augen nach der Helle dreht und den Kopf
selbständig dem Licht zuwendet; ein Prachtexemplar von einem
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gesunden, kräftigen Burschen. Heute, 20. Juli, nach achtzehn Tagen
schreibe ich dies. Gott sei Dank für alle Barmherzigkeit.«
Die Mutter ist bei der Geburt des Kindes fünfunddreißig Jahre alt.
Außer in ihr Tagebuch schreibt sie in jenen Monaten für die Mission
an einem »Traktat über Indianer«. Noch am 7. Oktober ist sie von
der Geburt sehr schwach und fühlt sich »plötzlich alt und matt
geworden«. Die Besonderheit des Kindes ist der Mutter auffällig.
Getreulich vermerkt sie, daß der Neugeborene ein überaus
freundliches Kind sei, »sogar in seiner schweren Krankheit lächelte er
uns oft so lieblich an«. Im Dezember beschäftigt sich die Mutter mit
einem zu gründenden frommen Fabrikmädchenverein, der im Januar
des nächsten Jahres bereits verwirklicht ist. Viel Freude macht den
Eltern in dieser Zeit auch des Dichters vier Jahre ältere Schwester
Adele. »Sie ist zum Aufessen lieb«, schreibt die Mutter. »Wie lange
wird sie bei uns sein? Es ist etwas an ihr vom Paradies. Weit und
breit hab ich noch nie ein so reizend lieblich Kind gesehen.« Auch der
Dichter ist
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