Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
begabter Steinmetz, doch mit dem Sohn hatte er auch seinen einzigen Lehrling verloren. Mit seinen alten, abgearbeiteten Händen schaffte er es gerade, für das Nötigste zu sorgen.
Doch seinen Enkel Karel hielt das nicht davon ab, sich seiner Leidenschaft für Sprachen zu widmen. »Als er noch klein war, sieben vielleicht … gaben ihm seine Großeltern ab und zu ein bisschen Taschengeld, ein paar Heller. Sie waren keine reichen Leute; sie waren arm. Während seine Freunde ihr Geld für Süßigkeiten und so was ausgaben, sparte er seins immer«, sagt Jorge. Wenn er eine Zeitlang gespart hatte, lief er am Süßwarenladen vorbei in die Buchhandlung und stürzte sich dort auf die Wörterbücher und Grammatiken fremder Sprachen. In der Schule profitierte er von seiner Beharrlichkeit: Er bekam ein Stipendium der renommierten Prager Wirtschaftsakademie, wo er internationale Wirtschaft und Linguistik studierte.
Nach seinem Abschluss im Jahr 1928 und acht Jahren als Übersetzer in einer Prager Firma bekam er eine Stelle bei der Československá Zbrojovka Brno, der Tschechoslowakischen Waffenfabrik in Brünn, einem Rüstungskonzern, der mit der British Royal Small Arms Factory in Enfield zusammen das leichte Maschinengewehr-Modell »Bren« entwickelt hatte. Nach seiner Gründung 1918 hatte das Unternehmen zunächst davon profitiert, dass die großen deutschen Rüstungsunternehmen aufgrund des Versailler Vertrags nicht produzieren konnten, und sich eine internationale Führungsposition in der Herstellung von Mauser-Gewehren erobert. Im Dezember 1938 trat es dem Škoda-Konsortium bei, indem es dem französischen Waffenproduzenten Schneider & Cie in Creusot für 9,5 Millionen US-Dollar Anteile an Škodas Rüstungsbereich abkaufte. Wenige Monate nach der Besetzung Böhmens und Mährens am 15. März 1939 wurde es als erstes Škoda-Unternehmen zwangsweise in die Reichswerke Hermann Göring AG eingegliedert. 131
Mit seinen Sprach- und Fachkenntnissen wurde Karel Sobota in der Exportabteilung der Tschechoslowakischen Waffenfabrik angestellt. Er fungierte für seine Vorgesetzten als Dolmetscher und betreute ausländische Militärattachés,indem er ihnen die Testgelände zeigte oder sie zum Essen ausführte. Seine Position brachte ihm viele hochrangige Kontakte ein, zum Beispiel zum britischen Botschafter im Iran, zum Exilkönig Afghanistans und zu jenem geheimnisvollen »Baron«.
Baron von Mosch oder Albert Göring, wie wir ihn jetzt wohl nennen dürfen, war inzwischen zum Exportleiter der Škoda-Werke inklusive der Československá Zbrojovka aufgestiegen und brauchte für sein Büro in Brünn einen persönlichen Assistenten. Aufgrund seiner hervorragenden Referenzen und guten Beziehungen bot Albert diese Stelle im Jahr 1940 Karel Sobota an. Der sagte zu, wenn auch nicht ohne Vorbehalte. Wie viele andere Škoda-Mitarbeiter war er dem neuen Vorgesetzten gegenüber zunächst misstrauisch. Zwar hatte er schon manches über Alberts aufsehenerregendes Verhalten gehört: seine Weigerung, den Deutschen Gruß zu verwenden, das Fehlen eines Hitlerporträts in seinem Büro und seine Versuche, tschechische Mitarbeiter gegen die nationalsozialistischen Direktoren Dr. Wilhelm Voss und Reinhold Freiherr von Lüdinghausen in Schutz zu nehmen. Zudem war Albert ein umgänglicher Mensch. Doch zugleich blieb er trotz allem Hermann Görings Bruder. Erst nach einem einschneidenden Erlebnis im Jahr 1942 begann Karel Albert Göring wirklich zu vertrauen.
»Da kam – ich weiß nicht, wie es auf Deutsch genau heißt – aber eine Art General der SS. Der Mann war ganz in Schwarz, mit allen Insignien. Er lief schnurstracks an meinem Vater vorbei und stürmte, ohne anzuklopfen, in Albert Görings Büro«, beginnt Jorge. Die Reaktion auf dieses ungefragte Eindringen waren ein lautstarker Verweis und ein Hinauswurf aus dem Büro. Dann öffnete Albert selbst die Tür und bat Karel herein, um mit ihm einige Fotos durchzusehen. Das dauerte etwa eine halbe Stunde, bis Albert schließlich sagte: »Also, Herr Sobota, dann rufen Sie den Herrn jetzt mal herein.« – »Mein Vater steht also auf,und der General saß immer noch da, ganz rot im Gesicht … Und so ging bei Škoda hinterher der Witz rum, dass das der erste rote Nazi war, den man je gesehen hatte.« Jorge muss so sehr lachen, dass er Mühe hat weiterzuerzählen. Schließlich sagt er: »Das hat also gezeigt, dass es da irgendwie eine Verbindung gab, eine Art Anerkennung.«
Das war nicht die einzige
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