Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
Episode, deren Zeuge Karel wurde. »Ich erinnere mich an noch etwas … Das war eine sehr subtile Beleidigung. Denn wenn man damals einem Parteimitglied begegnete und vergaß, die Hand zu heben, konnte man dafür verhaftet werden«, erklärt Jorge. »Da kam also ein Oberst oder so, glaube ich. Normalerweise redeten sie erst mit meinem Vater und trafen sich dann mit Albert. Und mein Vater stellte ihn also vor und führte ihn in sein Zimmer: ›Das hier ist Herr Oberst Soundso‹, oder so ähnlich. Der Oberst schlug die Hacken zusammen und [grüßte mit] Heil Hitler. Und Albert, hat mein Vater erzählt, [sagte einfach]: ›Hallo, Herr Oberst, wie geht’s?‹, und hat nicht einmal den Arm gehoben.« Diese und ähnliche Anekdoten kursierten bald im ganzen Unternehmen und brachten Albert bei der Belegschaft eine Art Kultstatus ein. Er war ihr heimlicher Held.
Um 1940 herum hatte Albert seinen Platz im Leben gefunden. Einen ziemlich komfortablen Platz sogar: Jeden Abend ließ er sich nach getaner Arbeit in die Arme seiner Schönheitskönigin sinken. Da er von der Lebensmittelrationierung ausgenommen war, schwelgte er in einem Luxus, den sonst nur die nationalsozialistische Elite genoss: Champagner, verrauchte Cabaret-Salons und echter Kaffee, nicht der Eichelkaffee, mit dem das einfache Volk vorliebnehmen musste. Er war ein Dorn im Fleisch der NS-Führungsriege bei Škoda und wurde von seinen tschechischen Kollegen als Held verehrt. Er lebte auf der Überholspur, und zwar buchstäblich: Wenn er nicht in dem schnittigen Cabriolet aus dem HauseŠkoda Auto in Mlada Boleslav durch Osteuropa brauste, fuhr er seinen aufsehenerregenden Schlitten von Steyr-Daimler-Puch.
Letztere Firma war das Ergebnis eines Zusammenschlusses der drei führenden Automobilhersteller Österreichs im Jahr 1934: der Steyr-Werke AG, Austro-Daimler und der Puch-Werke. Wie die meisten österreichischen Industriebetriebe wurde auch dieser Konzern nach dem »Anschluss« Österreichs der Reichswerke Hermann Göring AG einverleibt. Als kurz darauf auch Škoda Teil des Industrie-Imperiums wurde, waren die beiden Unternehmen Schwesterbetriebe. Ein Kooperationsabkommen sah vor, dass die Interessen von Steyr-Daimler-Puch im Balkanraum durch Škodas Exportabteilung vertreten wurden, deren Leiter, wie wir inzwischen wissen, Albert Göring war. Eine der Sondervergünstigungen für diese Tätigkeit war jener Geschäftswagen von Steyr-Daimler-Puch.
In diesem Luxuswagen bereiste Albert Göring also die Balkanländer, Italien und die Türkei und schloss mit deren Regierungen Verträge über die Herstellung ziviler Güter ab, wie er später in Nürnberg betonte. Dazu gehörten seiner Definition nach auch Lokomotiven, Kräne, Dieselmotoren, Werkzeugmaschinen und Tabakpressen. Nur – wie zivil waren diese zivilen Güter tatsächlich? Und hat Albert Göring wirklich nur mit ihnen gehandelt, oder war er auch in die Rüstungsproduktion verwickelt? Hat er sich zum Kriegsverbrecher gemacht, indem er die Herstellung von Gütern beförderte, die den Krieg verlängerten? Diese und ähnliche Fragen trieben Lieutenant Jackson um, der Albert Göring in Nürnberg verhörte.
Besonders den Begriff »zivile Güter« stellte Jackson nachdrücklich in Frage. Albert Göring war schließlich nicht nur der Bruder des Beauftragten für den Vierjahresplan, sondern arbeitete auch für eine Firma, die in diesem Plan eine wichtige Rolle spielte. Doch Albert blieb bei seiner Positionund bot in dem stickigen Vernehmungsraum seinem Befrager die Stirn. Er bestätigte zwar, dass Škoda Waffen produzierte, leugnete aber hartnäckig, mit dieser Abteilung etwas zu tun gehabt zu haben. Er antwortete: »Nein, nein; so konnte es gar nicht sein, weil ich mit alledem nichts zu tun hatte. Ich war für den Export von Friedensgütern zuständig, damit Škoda seinen Markt für die Nachkriegszeit nicht verlor. Es stimmt, dass dort Artilleriewaffen produziert wurden, doch damit hatte ich überhaupt nichts zu tun. Man kann das auch daran sehen, dass in die Länder, für die ich zuständig war, Waffen exportiert wurden … Das wurde aber zwischen Prag [Škodas Konzernzentrale] und Berlin vereinbart, und ich hatte dabei nichts weiter zu tun, als die Zahlungen entgegenzunehmen.« 132
Albert fuhr fort: »Ich habe alle möglichen Belege dafür zusammengetragen, dass die Produktion dieser Güter weiterhin notwendig war, vor allem für den Export, damit Devisen hereinkamen, mit denen sich die Tschechen ernähren
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