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Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Titel: Hermanns Bruder - wer war Albert Göring? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hysterische Sicherheitsleute und gereizte Passagiere aufeinandertreffen, erlebt man hier die Menschheit von ihrer schlimmsten Seite. Genau so ist der Greenville Airport heute. Und so himmelweit der Unterschied auch ist, scheint es mir nicht der schlechteste Ort zu sein, über die Abgründe des 20. Jahrhunderts nachzudenken.
    Ich sehe meinen Mitreisenden dabei zu, wie sie im allgemeinen Chaos zunehmend den Kopf verlieren, und versuche Ordnung in die Geschichte zu bringen, die mich schon so lange in ihrem Bann hält: die Lebensgeschichte Albert Görings. Mir schwirrt noch der Kopf von den vielen Anekdoten, die Jacques dazu beigetragen hat. Jacques hat über sechs Jahrzehnte Zeit gehabt, seine Erinnerungen zu verarbeiten und sich zu fragen, warum Albert sich dem System widersetzte, das so viele andere zur Passivität zwang. Was hat ihn dazu getrieben, sich aufzulehnen und seine Freiheit, sein Leben zu riskieren? Und warum hat er das nicht nur für seine engsten Angehörigen, sondern auch für völlig Fremde getan?
    Bei einem ihrer Familienurlaube in den Alpen, den die Benbassats mit Albert Göring verbrachten, ist Jacques zufällig über die Antwort auf diese Fragen gestolpert. Mitten im Gespräch bat Albert ihn, zu definieren, was Freundschaftsei. Jacques war damals noch ein Teenager und antwortete: »Na ja, Freundschaft ist, wenn man jemanden gern in der Nähe hat und Zeit mit ihm verbringt.« Doch Albert schüttelte lächelnd den Kopf und flüsterte ihm ins Ohr: »Es bedeutet viel mehr. Ein Freund, das ist jemand, der sein Vermögen, seine Sicherheit, sogar sein Leben aufs Spiel setzt, wenn du ihn brauchst.« Offenbar sah sich Albert Göring als Freund aller Menschen.

8. Baron von Mosch
    »Sie haben neue Nachrichten.« Die Mail ist von ihm. Eine kurzfristige Änderung: Jetzt möchte er sich am Sonntag in Paris mit mir treffen. Heute ist Freitag, und ich bin in Freiburg. Das bedeutet, ich muss heute ein Auto mieten, morgen direkt nach meiner Schicht im Irish Pub losfahren und die Nacht im Auto verbringen, um am Sonntag frisch wie der junge Morgen zum Interview zu erscheinen. Dustin erklärt sich gleich bereit, mich wieder zu begleiten. Er hat eine Zeitlang in Paris gelebt; seine Französischkenntnisse könnten sich als nützlich erweisen.
    Samstagabend. Das letzte Pint ist gezapft, die Tische abgewischt, und ich warte mit Dustin auf meine Ablösung, den notorisch unpünktlichen Moe. Seinen Namen hat er nicht den Eltern zu verdanken, sondern einer verblüffenden Ähnlichkeit mit jener
Simpsons -Figur
. Trotz des wirtschaftlichen Aufwärtstrends in seiner Heimat, dem neuen »Keltischen Tiger«, hat Moe es vorgezogen, seine 55 Kilogramm schwere Existenz von Tipperary nach Freiburg zu verpflanzen. Auch sonst ist er nicht leicht zu verstehen. Moe liebt dieses Land, besonders das billige und wohlschmeckende Bier, das man hier bekommt, doch seinen Bewohnern mit ihrem obsessiven Hang zur
Ordentlichkeit
und ihrer strikten Ablehnung von
Spaß
kann er nicht viel abgewinnen.
Spaß,
meint er, sei in Deutschland ohne ausdrückliche Genehmigung
verboten.
Doch so gern er sich auch über die Deutschen beschwert, ist er doch in mancher Hinsicht längst zu einem von ihnen geworden. Man muss ihn nur beim Überqueren einer Ampel beobachten, um zu wissen, dass er nicht nur physikalisch, sondern auch metaphorisch die Seiten gewechselt hat.
    Ampeln trennen hierzulande nämlich nicht nur den Fußgänger- vom Autoverkehr, sondern auch Ausländer von Deutschen. Letztere warten grundsätzlich geduldig auf Grün, während die »verdammten Ausländer« lässig bei Rot über die Straße schlendern. Auch ich bin lange ein »verdammter Ausländer« gewesen. Ich habe mich köstlich amüsiert, wenn jemand um Mitternacht an einer einsamen Kreuzung stand und beharrlich auf Grün wartete, um sie zu überqueren. Doch im Laufe der Zeit begannen die missbilligenden Blicke der Älteren und der Eltern doch an meinem Gewissen zu nagen. Ich fühlte mich schuldig. Ich war ein Kindsmörder, ein Verräter. Schlimmer noch: Ich gehörte nicht dazu. Irgendwann siegte mein unbewusster Drang, mich anzupassen, und ich begann, ebenfalls auf das Erscheinen des kleinen grünen Mannes zu warten. Nur in Gegenwart eines anderen Ausländers wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich dem Diktat der Ampel zu beugen – bis letzte Woche jedenfalls.
    Ich war mit Moe durch Freiburg unterwegs und ging wieder einmal demonstrativ bei Rot, als ich plötzlich feststellte, dass ich allein

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