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Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Titel: Hermanns Bruder - wer war Albert Göring? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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war. Moe stand noch auf der anderen Seite, bei den Deutschen. Er wartete, wenn auch etwas verlegen. Ich hatte ihn erwischt. Als er schließlich bei Grün zu mir herüberkam, lächelte ich ihm zu – nicht spöttisch, sondern verständnisvoll, um ihm zu signalisieren, dass auch ich längst nachgegeben hatte. Sind die sozialen Strukturen in Deutschland wirklich so stark, dass sie auch die Undeutschesten und Unkonventionellsten irgendwann auf Linie bringen?
     
    Endlich kommt Moe jedenfalls zur Tür hereingestolpert, und ich begreife gleich, warum er sich verspätet hat. Er sieht aus wie der Tod auf Hühnerbeinen und riecht nach Jägermeister. Anscheinend ist er gerade nach einem Gelage aufgewacht, das bis in den Morgen gedauert hat. Ich werfeihm meine Schürze und die Verantwortung für den Pub über die schmalen Schultern und setze mich mit Dustin ins Auto.
    Als wir aufwachen, schieben sich an den Fensterscheiben Scharen von Touristen vorbei und starren uns an, als seien wir vom Mars. Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir vierhundert Meter vor der Sacré-Cœur entfernt parken. Nach einem
petit déjeuner
in einem der Cafés auf dem Montmartre begeben wir uns in die Métro, die Unterwelt von Paris. In dem Tunnel zum Bahnsteig begegnen uns nacheinander ein Bettler, der zu einem Achtziger-Jahre-Begleitbeat vom Band grauenhaft Saxophon spielt, ein alter, Obszönitäten pöbelnder Säufer und ein Geschäftsmann, der gegen die gekachelte Wand uriniert. In den öffentlichen Verkehrsmitteln kann man jede Stadt von unten sehen. Aber Paris ist die einzige, die es irgendwie fertigbringt, als die romantischste Stadt der Welt gehandelt zu werden, während ausgewachsene Männer in Anzügen in ihre U-Bahn-Schächte pinkeln. Oben lockt und verführt die Stadt der Lichter, unten lauern die abschreckenden, unheimlichen Gestalten, die den schönen Schein nur stören würden.
    »École Militaire« – hier steigen wir aus. Am Ende des Tunnels ist wieder das strahlende, prächtige Paris zu sehen. Es ist ein sonniger Spätwintertag, und die Bewohner der Stadt schlendern durch die Alleen oder präsentieren sich in den Straßencafés dieses mondänen
arrondissement
im Schatten des Eiffelturms. Die Métro-Station verdankt ihren Namen der altehrwürdigen Militärakademie, die hier in einem Prachtbau aus dem 18. Jahrhundert untergebracht ist. Hier hat schon Frankreichs berühmtester kleiner Korse ab 1784 seine militärische Ausbildung erhalten. Unweit der École Militaire liegt das Café Le Tourville, mein Treffpunkt mit Jorge Sobota, dem Sohn von Karel Sobota, der in den Škoda-Werken in Brünn als Albert Görings persönlicher Assistent gearbeitet hat.
    Allerdings ist das Tourville weniger ein gemütliches Café als eine lebhafte Bar. Kellner balancieren ihre schwere Fracht zwischen den dicht gedrängten Tischen hindurch und ignorieren stoisch die »
Pardon «
- und »
S’il vous plaît
«-Rufe ihrer Gäste, die ohnehin im Stimmengewirr und der lauten »Vordergrundmusik« untergehen. Völlig überfordert blicke ich mich um und sage unwillkürlich: »Wo ist er denn bloß?« Zu meiner Überraschung bekomme ich prompt eine Antwort vom Nebentisch: »Hier ist er!«
    Jorge trägt ein schwarzes Levi’s-T-Shirt zur hellblauen Jeans. Er hat die hochgewachsene Statur seines Vaters und die Lebhaftigkeit seiner südamerikanischen Heimat geerbt. Immer wieder blitzt sein ansteckendes Lächeln auf, wenn er die Geschichten seines Vaters aus den drei Jahren mit seinem Vorgesetzten und Freund Albert Göring weitererzählt.
    »Mein Vater hat mir seine [Görings] Geschichte erzählt, hat aber den Namen geändert«, erklärt Jorge. »Vielleicht hatte er Angst, mir den wahren Namen zu verraten, solange ich noch ein Kind war … Falls ich meinen Freunden davon erzählte und sich die Sache weiterverbreitete. Solche Informationen … hätten ihn in Schwierigkeiten bringen können. Also nannte er ihn Baron von Mosch.«
    Der junge Karel Sobota kannte seinen Vater kaum. Er war erst fünf Jahre alt, und der Erste Weltkrieg hatte gerade erst begonnen, als die Familie von dessen Tod benachrichtigt wurde. Ohne den Versorger musste die Mutter ihr Zuhause in Jinonice verlassen – damals noch ein kleines Dorf außerhalb Prags – und bei den Eltern ihres verstorbenen Mannes im Stadtzentrum unterkommen. Von da an war es Aufgabe der Großeltern, Karel, seine Mutter und seine zwei Geschwister zu versorgen. Das war für die alten Leute nicht leicht. Großvater Sobota war ein

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