Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
erschien wieder vor ihrem inneren Auge, der riesige Garten … Ach ja, und die vielen, vielen Bediensteten, die immer um sie herumgewuselt waren! Hunderte, kam es ihr im Rückblick vor. Wobei niemand sonderlich viel gearbeitet hatte. Sie erinnerte sich an Gruppen von Frauen, die ständig die Wege gefegt hatten. Gebückt, mit schlichten Reisigbüscheln, die den Staub nur aufwirbelten: Sauberer war das Pflaster dadurch nicht geworden.
»Was haben Sie denn da den ganzen Tag gemacht?«, wunderte sich Wickersham.
Brenda tauschte einen Blick mit Charlotte. »Wenn wir die Schulaufgaben fertig hatten, waren wir eigentlich immer bei euch im Pool, oder?«
Charlotte erinnerte sich nicht mehr. »Waren wir nicht die ganze Zeit auf dem Innenhof? Dem Platz mit der Mauer aus durchbrochenen Steinen?«
»Ach ja. Wo uns manchmal euer Pfau attackiert hat. Das war vielleicht ein Biest!«
»Genau. Wie hieß der noch mal? Gerôme! Ja, mit dem hat man sich besser nicht angelegt.«
Ihr wurde ganz leicht ums Herz, als sie an Delhi dachte und davon erzählte. Was war das Leben damals einfach gewesen!
Nach dem Mittagsimbiss ging es in die zweite Runde: Es galt, Brendas Zimmer in den Warren Towers zu leeren. Sie waren als Umzug angemeldet und erhielten Einfahrt in das Parkhaus, das die beiden untersten Etagen des gigantischen Wohnheims ausmachte. Der Hausmeister kam und schaltete ihnen den Aufzug frei, sodass sie direkt zwischen Brendas Etage und dem Parkdeck hin und her fahren konnten.
Es hätte also alles schnell gehen können. Eigentlich. Wenn Juanita imstande gewesen wäre, Bücher einfach aus einem Regal zu nehmen und in einen Karton zu legen. Doch das ging offenbar nicht; sie musste sich jedes Buch einzeln anschauen, den Rückseitentext lesen, wenn sie es nicht kannte, und es kommentieren, wenn sie es kannte.
»Ju!«, rief Brenda irgendwann. »Das Mädchen, das nach mir hier einzieht, kommt schon nächste Woche! Wir sollten uns ein bisschen beeilen …«
Juanita war in die Betrachtung einer Taschenbuchausgabe von Joseph Conrads Herz der Finsternis vertieft. »Wusstest du, dass Afrikaner dieses Buch hassen? «, fragte sie.
Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Immer wieder tauchten Mitbewohner auf, um sich tränenreich zu verabschieden. Sie taten gerade so, als sei Brenda im Begriff auszuwandern. Dabei würden sie sich alle nächsten Montag an der Uni wiedersehen.
Charlotte war froh, dass Brenda endlich aus den Towers auszog. Die Betonflure verströmten den Charme von Kellerräumen,und bei jedem ihrer Besuche hatte es nach irgendetwas Unangenehmem gemüffelt. Heute war es der Geruch ungewaschener Socken, der einen verfolgte.
»Geht ganz schön lebhaft zu hier«, meinte Wickersham irgendwann zu Brenda. »Gefällt Ihnen das nicht?«
»Doch«, erwiderte Brenda und packte ihm noch ein Kissen auf die Bücherkiste, die er wegschleppen wollte. »Bloß hab ich völlig altmodische Vorstellungen von Privatsphäre. Hier kann es Ihnen passieren, dass Sie todmüde heimkommen und eine Party in Ihrem Zimmer vorfinden, bei der gerade jemand aus Ihrem Tagebuch vorliest. Nicht so mein Fall.«
Das Ausräumen in Brendas Haus später war wie ein Ausklingen. Charlotte stapelte Handtücher in den Badezimmerschrank und ließ sich Zeit dabei, genoss die Ruhe nach dem Trubel in den Warren Towers. Hier, so hatte sie das Gefühl, war Ruhe erlaubt.
»Charlie?« Brenda steckte den Kopf durch die Tür. »Hier bist du. Sag mal …« Sie kam herein, machte hinter sich zu. »Du wirkst heute so bedrückt. Ist irgendwas mit James und dir? Habt ihr euch gestritten?«
Charlotte holte tief Luft. »Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Wir haben uns nicht gestritten.«
Sein Versagen hatte James keine Ruhe gelassen. Am Freitag war er überraschend aufgetaucht, hatte sie regelrecht überfallen. Und dann hatte es geklappt mit dem Sex. Allenfalls etwas schnell war es gegangen, zu schnell für sie. Aber immerhin, es war noch alles in Ordnung.
»Sondern?« Brenda musterte sie besorgt.
»Mit James und mir ist alles in Ordnung«, erklärte Charlotte mit dem seltsamen Gefühl, eine Auster zu sein, die begann, einen inneren Schmerz in Perlmutt zu hüllen. »Wirklich, es könnte nicht besser sein. Ich bin glücklich. Ja. Wir haben jetzt über Termine gesprochen, weißt du? Wir werden uns im Herbst verloben und nächsten Sommer heiraten.« Sie musste tief Luft holen; etwas schnürte ihr die Brust ein. »Ich werde dannMrs James Bennett heißen. Das stört
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