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Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Titel: Herr Bofrost, der Apotheker und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Neuffer
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um nicht sofort wieder auf die Nase zu fallen.
    Das geschah erst zehn Meter weiter. Plötzlich riss es mir die Beine weg, und ich fiel so ungeschickt auf meine linke Hand, dass ich unwillkürlich aufschrie. Ich bin nicht zimperlich, aber das tat wirklich weh. Am liebsten wäre ich liegen geblieben. Erfrieren soll ein sanfter, schöner Tod sein. Aber direkt sterben wollte ich auch nicht, also rappelte ich mich unbeholfen auf. Und rutschte gleich wieder weg. Diesmal erwischte es meine Hüfte. Vielleicht war ein friedvoller Tod doch eine Alternative? – Mich packte die Wut. Ich würde mich doch nicht von einer lächerlichen Naturerscheinung kleinkriegen lassen! Wasser wechselt den Aggregatzustand, meine Güte, das passierte in meiner Küche jeden Tag!
    »Kommen Sie, ich helfe Ihnen.« Eine tiefe, mitleidvolle Stimme neben mir und eine Hand, die unter meinen Arm fasste.
    Ich machte mich los. »Ich brauche keine Hilfe – danke!«
    »So?« Die Stimme klang amüsiert und gehörte eindeutig einem Mann. Auch das noch! Wahrscheinlich irgend so ein Macho, der sich einbildete, fester auf diesem vermaledeiten Eis zu stehen, als eine Frau es je könnte. Ich hätte ihn gern mit einem blitzenden Blick in die Flucht geschlagen, aber im schwachen Licht einer weit entfernt stehenden Straßenlaterne hielt sich der Effekt in Grenzen.
    »Nun kommen Sie schon. Ich will Ihnen doch nur helfen«, sagte der Fremde und ergriff meine Hand. Zog mich, wie es schien, mühelos auf die Beine. Ich stand, aber ein richtig gutes Gefühl war das nicht. Meine Hand tat höllisch weh, meine Hüfte schmerzte, ich fühlte mich gedemütigt und hatte Angst, bei der nächsten Bewegung wieder auf den Allerwertesten zu fallen. Dieser Kerl vor mir hingegen schien widerwärtig sicher auf beiden Beinen zu stehen. Größer als ich, breiter als ich, stabiler als ich. Normalerweise schätze ich die Unterschiede in der Anatomie zwischen Mann und Frau, aber in diesem Moment machten sie mich streitlüstern. »Was soll das denn?«, fuhr ich ihn an. »Glauben Sie, ich komme nicht allein zurecht?«
    Der Typ lachte. »Der Eindruck drängt sich auf. Wo wollen Sie denn hin? Ich helfe Ihnen gern.«
    »Ich brauche keine Hilfe«, zischte ich, riss mich los und rutschte wieder aus.
    Er fing mich auf. »Nun nehmen Sie doch Vernunft an«, sagte er geduldig. »Ich will Ihnen doch nur helfen. Glauben Sie, ich will Sie vergewaltigen, oder was?«
    O Gott! Auf den Gedanken war ich noch gar nicht gekommen! »Wenn Sie das versuchen, schreie ich, so laut ich kann. Es sind genug Leute hier!«
    »Eben.« Er lachte schon wieder. »Also, wohin möchten Sie? – Ich begleite Sie.«
    Er klang wirklich freundlich, und mein Kampfgeist erlahmte. Ich hatte die Schnauze voll. Der Regen platschte mir ins Gesicht, ich fror erbärmlich, und zwischen mir und dem Restaurant lagen noch mindestens fünfzig vereiste Meter. Wohin ich wollte? – Nach Hause! In mein Bett! Um meine Wunden zu lecken.
    »Hören Sie, ich finde es ein wenig nass hier!« Wieder lag ein Lächeln in der Stimme. Was eigentlich erstaunlich war. Vielleicht war er wasserdichter als ich. Oder einfach nur unsensibler.
    »Ich will in die Raststätte«, sagte ich ergeben.
    »Wissen Sie, was da los ist? Ich komme da gerade her, die Leute prügeln sich um die Plätze.«
    Na und? Inzwischen war ich auch so weit.
    »Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag«, sagte der Mann. »Mein Campingwagen steht gleich da drüben. Ich habe ein Handtuch für Sie und heißen Tee.«
    »Ach?«, fragte ich gedehnt. »Und eine Briefmarkensammlung?«
    Er lachte schon wieder. Widerlich heiter wie der Chopin vorhin im Radio. »Bevor Sie einsteigen, können Sie sich ja meine Autonummer aufschreiben! – Nun seien Sie nicht albern, ich will Ihnen doch nichts tun. Ich bin einfach nett, das ist so meine Art. Und Sie sehen so aus, als könnten Sie das im Moment ganz gut gebrauchen.«
    Na, da hatte er allerdings Recht! Außerdem wären ein Handtuch und heißer Tee jetzt wirklich Klasse. Ich versuchte, sein Gesicht in dem schwachen Licht zu erkennen, aber viel konnte ich nicht sehen. Er schien jung zu sein, vielleicht in meinem Alter, und er wirkte nicht wie jemand, der bei der ersten Gelegenheit fremde Frauen anfällt. Seine Stimme klang Vertrauen erweckend, darauf würde ich mich jetzt einfach verlassen. »Na gut«, sagte ich gnädig und spürte, dass er schon wieder lächelte. Sonderbar, wie fröhlich er war, nachdem er Ewigkeiten hier mit mir im kalten Regen gestanden

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