Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Titel: Herr Bofrost, der Apotheker und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Neuffer
Vom Netzwerk:
noch gar nicht vorgestellt«, sagte er. »Ich heiße Steffen. Steffen Ander.« Er zog das Lesezeichen aus der Churchill-Biographie und legte es vor mich auf den Tisch. Es war eine Visitenkarte, hellgrau und sehr schlicht. »Steffen Ander« stand darauf in kräftigem Türkis, Fotograf. Darunter eine Adresse: Loogestieg 11. Also kein Buchhändler und auch nicht Eimsbüttel, sondern Eppendorf. Auch gut. »Stecken Sie das Ding ruhig ein, wenn es Ihr Misstrauen beruhigt«, sagte er grinsend.
    »Nein, nein, ich glaube Ihnen ja«, sagte ich schnell. »Entschuldigen Sie, dass ich so pampig war, aber ...«
    »Schon gut«, unterbrach er mich und musterte mich interessiert. »Meine Güte, ich hätte nicht gedacht, dass in dieser Nasszelle« – er deutete mit dem Kopf zur Toilettentür – »solche Wunder möglich sind. Sie sehen völlig verwandelt aus! Sie sind ja hübsch!«
    Hey, was sollte das denn? Wollte er mich etwa anbaggern? Und außerdem – wieso hatte er gedacht, ich sei nicht hübsch? Bevor ich antworten konnte, redete er weiter:
    »Wie heißen Sie denn?«, fragte er.
    »Helena Spenger.«
    »Aha. Und, Helena Spenger, was machen Sie bei diesem Wetter auf der Autobahn?«
    »Ich habe Freunde besucht.« Wollte er mich aushorchen, oder was? Es ging ihn schließlich einen feuchten Dreck an, warum ich unterwegs war. Ich erkundigte mich ja auch nicht nach seinem Wohin und Woher. »Und Sie?«, fragte ich.
    »Ich bin unterwegs zu meiner Schwester. Besser gesagt, ich war unterwegs. Das können wir jetzt ja wohl vergessen.« Er streckte behaglich die Beine von sich und nahm einen großen Schluck Tee. »Aber so lässt sich's doch aushalten, oder?«
    Ja, so ließ es sich aushalten. Wie gut, dass ich den Verlockungen eines sanften Todes vorhin widerstanden hatte. »Ja«, sagte ich und lächelte zum ersten Mal, »danke, dass Sie mich aufgesammelt haben.«
    »Ich hab's gern getan«, erklärte er. »Und jetzt, da ich Sie bei Licht sehe, stelle ich fest, dass ich nichts Besseres hätte tun können.«
    »Ach«, erwiderte ich und stellte fest, dass sich so etwas wie Koketterie in meine Stimme schlich, »und was hätten Sie getan, wenn ich mich als hässliche Alte entpuppt hätte? Mich wieder hinaus aufs Eis gestoßen?«
    Er lachte. »Dass Sie keine hässliche Alte sind, konnte ich sogar im Dunkeln erkennen. Dann wären Sie nicht so graziös gefallen.«
    Graziös gefallen! Wahrscheinlich hielt er Stan Laurel für eine Balletttänzerin!
    »Sind Sie immer in diesem Camper unterwegs?«, fragte ich, um das Thema auf eine weniger verfängliche Ebene zu bringen. Was belanglose Konversation angeht, bin ich grottenschlecht, aber ich fand, hierfür verdiente ich ein Plus mit Sternchen. Für meine Verhältnisse.
    »Nein, er gehört mir nicht einmal. Ich habe ihn von einem Freund geliehen. Meine Schwester und ihr Mann bauen gerade um und haben keinen Platz für Übernachtungsgäste. Da dachte ich, ich könnte hier drin schlafen. Ich mag Hotels nicht besonders. Sie?«
    Ob ich Hotels mochte? Na klar, wo sonst wurde einem abends ein Stück Schokolade aufs Kopfkissen gelegt? »Nö, ich mag Hotels. Und Restaurants. Und Friseure. Ich mag alles, wo ich bedient werde.«
    »Restaurants mag ich auch. Friseure nicht.«
    Das sah man. Sein hellbraunes Haar war wellig und ziemlich lang. Einen Schnitt konnte man beim besten Willen nicht erkennen. Trotzdem – oder gerade deswegen? –, der Typ sah nicht schlecht aus. Wie ein großer Teddybär. Groß und gemütlich. Nicht dick, sondern stämmig, so wie jemand, der gern mal in den Sahnetopf des Lebens langt.
    Im Moment war das der Kandistopf, aus dem er großzügig Zucker in seinen Becher schaufelte. Dann goss er heißen Tee nach, sodass es knisterte.
    Bedächtig rührte er um. Schließlich hob er den Blick. »Ich finde, wir sollten uns duzen. Das ist irgendwie netter, oder?«
    Ja, klar, warum nicht? Ich duzte sogar unsere Putzfrau – sie war zehn Jahre älter als ich, hieß Corinna und hatte grün lackierte Fingernägel. Mit Goldglitter. Sie hatte das Du am ersten Tag vorgeschlagen. Es mache unser Verhältnis freundschaftlicher, fand sie. Solange sie nicht erwartete, dass ich aus lauter Freundschaft mit ihr die Badewanne schrubbte, sollte es mir recht sein. – Und ein bisschen Freundschaft mit diesem Teddy war in meiner Situation jetzt bestimmt nicht verkehrt. Er hatte Tee, er hatte Licht und eine Standheizung.
    »Okay«, sagte ich und prostete ihm mit meinem Teebecher zu.
    »Man unterhält sich lockerer, wenn

Weitere Kostenlose Bücher