Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Titel: Herr Bofrost, der Apotheker und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Neuffer
Vom Netzwerk:
verbrachte seine Semesterferien bei seinen Eltern, die ein Hotel auf der Insel hatten.« Mama Spenger sah mich fest an. »Lena, wir haben uns an diesem Abend furchtbar ineinander verliebt. Die drei Wochen, die ich mit ihm verbracht habe, waren die glücklichsten meines Lebens.«
    »Und dann?«, fragte ich atemlos.
    »Und dann bin ich nach Hause gefahren. Was sollte ich tun? Ich hatte zwei kleine Kinder.«
    »Und wie hast du das ausgehalten?« Ich konnte es nicht fassen! Mama Spenger, die brave, angepasste Mama Spenger hatte eine heiße Affäre gehabt?
    Unser Cappuccino wurde serviert. Mama Spenger riss das Zuckertütchen auf, ließ den Zucker auf den Milchschaum rieseln. »Ich weiß es nicht.« Sie tauchte ihren Löffel in den Zuckerkrater und sah auf. Diesmal lächelte sie nicht. »Lena, ich weiß es wirklich nicht. Ich habe einfach funktioniert, wochen-, monate-, vielleicht jahrelang. Irgendwann hat es dann nicht mehr so wehgetan. Aber, weißt du, ich war zwar schrecklich traurig, doch trotzdem ging es mir besser als vorher. Vorher, das war so eine dumpfe Depression gewesen. Jetzt war ich zwar traurig, aber ich hatte auch wieder Lebensmut. Und ich hatte immerhin etwas erlebt, an das ich denken konnte, wenn Ulrich mal wieder besonders schwierig war.« Sie rührte in ihrem Kaffee. Rührte und rührte, bis die Milchschaumkrone verschwunden war.
    »Und jetzt? Bist du jetzt glücklich?«
    »Glücklich?« Wieder sah sie mich mit diesem ernsten, etwas traurigen Blick an. »Nein. Oder ja, doch. Irgendwie schon. Ich habe mich arrangiert, auch mit Ulrich.« Sie rührte immer noch. »Ich denke, ich bin so glücklich, wie man sein kann, wenn man auf das ganz große Glück verzichtet hat. Mein Leben war nicht schlecht.« Sie schwieg und trank ihren Cappuccino. »Weißt du, wenn man Kinder hat ... Wenn sie nicht gewesen wären, hätte ich mich damals von Ulrich getrennt.«
    Ich sah sie neugierig an. »Warum hast du mir das erzählt?«
    »Weil ich mich heute noch manchmal frage, ob ich damals das Richtige getan habe. Ich möchte nicht, dass du dir in achtunddreißig Jahren dieselbe Frage stellen musst. Du hast keine Kinder, Lena.«
    Bitte? Verstand ich das recht? Wollte sie mir nahe legen, mich von Holger zu trennen? »Du meinst, ich sollte ...?« Ich wagte nicht, einen für Spenger'sche Verhältnisse so frevelhaften Gedanken auszusprechen.
    »Lena, ich meine gar nichts.« Wieder beugte sie sich über den Tisch und fasste nach meiner Hand. »Ich will dir nur sagen, dass ich dich verstehe – wie immer du dich entscheidest. Nur, Schätzchen, mach nicht denselben Fehler wie ich: Hör nie auf zu arbeiten!«
    »Aber genau das will Holger, wenn wir Kinder kriegen«, entfuhr es mir, obwohl es inzwischen herzlich irrelevant war.
    »Eben«, sagte Mama Spenger. Mehr nicht. Ihr Mund war ein harter, dunkler Strich. Ich hatte nicht gewusst, dass sie so böse aussehen konnte.
    »Magst du noch einen Cappuccino?«, fragte ich.
    Der Strich löste sich, wurde zu dem weichen Mama-Spenger-Lächeln, das ich kannte. – Nein, nicht ganz. In diesem Lächeln lag noch etwas wie ... ja, was? Übermut? Verwegenheit? Es war ein wildes Lächeln, das mir sehr gut gefiel. »Bestell mir lieber einen Cognac.« Sie zwinkerte mir zu.
    Ich winkte dem Kellner. Mama Spenger wäre eine Top-Komplizin in der Résistance gewesen, allein ihre Tarnung war allererste Sahne. In all den Jahren, in denen ich sie kannte, war ich nie darauf gekommen, welche Abgründe sich hinter ihrem polierten Äußeren verbargen. Und auch jetzt schloss sich der schmale Spalt, durch den sie mir Einblick gewährt hatte, sehr schnell wieder. Sie kippte den Cognac hinunter, und ihr Lächeln war glatt und harmlos wie immer. Das »echte« Mama-Spenger-Lächeln, ohne Ecken und Kanten, ihrem Mann und ihrem Sohn eine immerwährende Freude.
    »Was meinst du, sollten wir nicht langsam fahren?«, fragte sie. »Wir sind heute Abend bei Brandstetters eingeladen, und ich glaube, ich würde mich vorher gern noch ein wenig hinlegen.«
    Ja, das sollte sie unbedingt tun. Ich hätte wahrscheinlich bis morgen früh durchgeschlafen, wenn ich ihren Alkoholpegel gehabt hätte. Mit Sicherheit hätte ich einen Abend bei den Brandstetters, einem älteren Arztehepaar, nicht überstanden, ohne schnarchend auf ihrem Sofa zusammenzubrechen. Doch Mama Spenger würde auch heute Abend die Contenance bewahren. Sie war trainiert. Seit über dreißig Jahren. Mir war nicht ganz klar, was ich empfand. Respekt? Oder Mitleid?
    Auf

Weitere Kostenlose Bücher