Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Titel: Herr Bofrost, der Apotheker und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Neuffer
Vom Netzwerk:
Zimmer unter dem Dach mit dem Blutfleck auf dem Teppich war mir schon fremd, keine Zuflucht mehr. Aber ewig hier herumzuhocken und die Demutsvolle zu spielen ging mir bereits jetzt schon auf die Nerven.
    »Wir fahren zu meinen Eltern«, sagte Holger.
    »Wie? Die denken doch, wir seien im Schwarzwald!«
    »Nein. Ich habe sie gestern Abend angerufen und ihnen gesagt, dass wir unsere Fahrt abbrechen mussten, weil du dir einen akuten Magen-Darm-Infekt eingehandelt hast. Sie werden sich freuen, dass du dich so schnell erholt hast.«
    Einen Magen-Darm-Infekt. Wie appetitlich. Hätte Holger sich nicht wenigstens etwas Ästhetischeres ausdenken können?
    * * *
    »Du siehst sehr blass aus, Kind«, bemerkte Mama Spenger besorgt. »Bist du wirklich wieder ganz in Ordnung?« Während die anderen sich an köstlich duftenden Kalbsschnitzeln gütlich taten, hatte sie mir ein magenschonendes Omelett vorgesetzt. Ohne Salz. Egal. Heute Abend war ich bestimmt nicht zum Essen hergekommen.
    Später zogen Holger und sein Vater sich auf die Terrasse zurück. Kerstin und ich halfen Mama Spenger beim Abräumen.
    »Was hat Holger denn?«, raunte Kerstin mir zu, als wir die Spülmaschine einräumten. »Er hat so eine düstere Aura.«
    Und ich? Meine Aura glich vermutlich einer Wunderkerze, die grelle, zackige Funken sprühte, kalt und stechend. Oder nein, wahrscheinlich eher der einer Cruisemissile, die ihr Ziel genau kannte.
    »Ach, er ist natürlich enttäuscht, weil wir umkehren mussten. In ein paar Tagen ist er bestimmt wieder anders drauf.« O ja, dann würde er mit der Aura eines Feuer speienden Drachens herumbollern.
    »Ich geh mal aufs Klo«, sagte ich. »Ganz in Ordnung bin ich wohl immer noch nicht.« Ästhetik hin oder her, ich brauchte ein Alibi.
    Katzengleich schlich ich die Treppe hinauf. Hélène, die Sanfte, die Unschuldige hatte ich abgestreift. Hier operierte Claudine, die taffe Kämpferin!
    Papa Spengers Medizinschrank stand im elterlichen Schlafzimmer, und wie ich wusste, war er gut ausgestattet. Ich überflog den Inhalt des Schranks mit flatterigem Blick. Er war ordentlich sortiert, Erkältung ganz oben, Verbrennungen, Hühneraugen und Fußpilz eine Etage tiefer, gefolgt von Skorbut und anderen Mangelerkrankungen, Schmerzmittel ganz unten. Hier hatte ein Mann mit Lebenserfahrung vorgesorgt! In Holgers Schrank gab es nur die Skorbut-Abteilung, dazu Pflaster, ein paar Mullbinden und Paracetamol, ansonsten verließ er sich ganz auf die Vorräte in seiner Apotheke. Papa Spengers Schlaftabletten lagerten in der Mitte neben Verstopfung und Durchfall. In reicher Auswahl. Ich klaute eine Schachtel Valium. Damit war ich garantiert auf der sicheren Seite. Ich verschloss den Schrank wieder sorgfältig, knipste das Licht aus, zog lautlos die Tür hinter mir zu. Auf Zehenspitzen huschte ich die Treppe hinab, ließ in der Garderobe die Pillenschachtel in meine Jackentasche gleiten und rettete mich gerade noch ins Gästeklo, als Kerstin die Küchentür öffnete. Dann gesellte ich mich – wieder ganz die sittsame Hélène – zu den anderen auf die Terrasse. Mama Spenger fand, ich sehe gar nicht mehr so blass aus, und erlaubte mir ein Glas Rotwein und ein paar Salzstangen.
    »An diesem Wochenende ist in Herrenhausen wieder diese Gartenausstellung. Könnten wir da nicht hinfahren?« Sie sah ihren Mann hoffnungsvoll an.
    Der guckte unglücklich, und Holger kam ihm sofort zu Hilfe: »Warum fährst du nicht mit Lena? Du weißt doch, dass Papa am Sonntag gern seine Ruhe hat.«
    Und du auch! Du bist es jetzt schon leid, den Babysitter zu spielen, dachte ich, während Papa Spenger seinem Sohn einen dankbaren Blick zuwarf.
    Ich sagte: »Ja, dazu hätte ich Lust! Was meinst du, Mama?«
    Sie nickte erfreut. »Dann lass uns früh losfahren! Und hinterher gehen wir im Georgenhof essen. Ich lade dich ein!«
    Ich lächelte sie an. Es würde ein Abschiedsessen werden, auch wenn sie es nicht wusste. »Nein«, sagte ich, »ich lade dich ein.« Zumindest das war ich ihr schuldig. Und ich tat es gern. Ich freute mich sogar auf eine letzte, ruhige Stunde mit ihr allein.
    »Na, bestens!« Holger war entzückt. Und wie! Ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. Ich war ja auch nicht scharf auf einen Sonntag mit ihm!
    * * *
    Im nächsten Jahr, das schwor ich mir, würde ich wiederkommen. Und zuschlagen! Pflanzen, Steintröge, Sandsteinputten und verspielt geschnörkelte Rankhilfen einsacken. Bis dahin hatte ich meinen eigenen Garten!
    Während ich hinter Mama

Weitere Kostenlose Bücher