Herr Bofrost, der Apotheker und ich
der Rückfahrt war sie sehr still. Sie lehnte mit geschlossenen Augen im Beifahrersitz, und ich fragte mich, ob sie sich den Kopf über das Leben an sich zerbrach oder einfach weggeduselt war. Ich störte sie nicht. Sanft berührte ich ihren Arm, als ich vor ihrem Haus hielt. Sie schlug die Augen auf, kein bisschen verschlafen. »Es war sehr schön mit dir, Lena«, sagte sie. Sie zog mich zu sich heran und tauchte mich ein letztes Mal in ihre Chanel-Umarmung. Die heute – ich weiß nicht, wer wen festhielt – etwas länger dauerte. »Darf ich dich anrufen?«, fragte Mama Spenger.
»Immer!«, sagte ich. Und ich hatte das sonderbare Gefühl, dass wir beide mehr meinten, als wir sagten.
Holger saß mit seinem Vater auf der Terrasse, ängstlich daraufbedacht, die Bewachungskette nicht abreißen zu lassen. Wie stellte er sich das eigentlich auf Dauer vor? Wollte er eine staatlich geprüfte Gouvernante als Hausdame einstellen? Mit Handschellen am Gürtel?
Zu Hause begab ich mich sofort in die Küche. »Heute kriege ich auch ein Pfingstmenü!«, erklärte ich, als hätte ich mir im Georgenhof Wasser und Brot servieren lassen.
Holger grinste nur. Ganz offensichtlich war er der Meinung, dass ich den Gefängnisfraß von gestern verdient hatte.
An diesem Abend gab ich mein Bestes. Herr Bofrost hätte seine helle Freude daran gehabt, wie ich seinen Rinderbraten aufpeppte. Ich verlängerte die Sauce mit reichlich Schmand, gab einen kräftigen Schuss Rotwein hinzu und würzte kräftig. Dann ließ ich fünf kleine, weiße Pillen in ein Glas Leitungswasser gleiten, zerdrückte sie und rührte, bis das Wasser glatt und milchig war. Hoffentlich würde die Menge ausreichen. Eine Überdosis wäre allerdings auch unschön. Ich gab die Hälfte der Sauce in eine zweite Kasserolle, kippte den Inhalt des Glases dazu und salzte kräftig. Ich achtete peinlich darauf, dass es nicht noch einmal aufkochte. Vielleicht verdampften die Wirkstoffe schon beim Kochen wie Alkohol? Ich hatte keine Ahnung, eine routinierte Giftmischerin war ich schließlich nicht. Ich probierte ein winziges Minitröpfchen: kein Unterschied, nur salziger eben. Gut für den Durst. Dann nahm ich den Braten aus dem Ofen und schnitt ihn auf. Das Fleisch zerfiel in mürben Fasern, die auf der Zunge zergingen. Was wollte ich eigentlich? Ich konnte doch kochen!
Auf Holgers Teller legte ich drei Scheiben Fleisch, auf meinen eine. Fatal, wenn ich nun einen Fehler machte und die Teller verwechselte! Ich legte ein paar Kartoffeln dazu und bestreute sie mit Petersilie. Zum Schluss gab ich die Saucen über das Fleisch. Es sah gut aus, echter Spenger-Standard.
»Kommst du?«, rief ich, als ich die Teller auf den Tisch stellte. Den liebevoll gedeckten Tisch. Weißes Tischtuch, rosa Kerzen, ein Strauß violetter, etwas angewelkter Flieder. Schwerer, dunkelroter Wein in blinkenden Gläsern. Von dem ich bestenfalls nippen würde.
»Hm, das riecht gut!« Holger rieb sich die Hände und ließ sich nieder. Er griff zum Weinglas. »Auf uns, Kleines!«
Ich prostete ihm zu. »Auf dich und mich, Holger«, sagte ich ernst.
Er leerte das halbe Glas. Aufmerksam, wie ich nun einmal war, schenkte ich nach. »Lass es dir schmecken, Liebling.«
Eine überflüssige Aufforderung. Holger haute rein. Er verputzte in Windeseile das Fleisch und matschte die Kartoffeln in die Sauce. »Hervorragend«, sagte er mit vollem Mund, »vielleicht ein klein wenig zu salzig.«
Ich füllte bereitwillig sein Weinglas auf. Zu meinen Füßen wartete eine zweite, geöffnete Flasche darauf, unauffällig ausgetauscht zu werden.
»Wunderbar!« Holger lehnte sich zufrieden zurück, seine Stimme schlürte schon.
»Möchtest du noch etwas?«, fragte ich.
»Danke, nein. Das war groschartig.«
»Dann lass uns rübergehen«, schlug ich vor. »Aufräumen kann ich später.« Einen Teufel würde ich tun!
Holger nickte. »Ja, lasch esch unsch mal gemütlich machen. Ich bin plötschlich scho müde.«
»Na, dann komm.« Ich half ihm zärtlich aufsch Schofa und trug ihm schein Weinglasch hinterher. Scheine Augen fielen schon schu, bevor er richtig schaß.
Ein wenig bang war mir doch. Das war verdammt schnell gegangen, oder? Aber fünf Tabletten brachten doch keinen um! Einen wie Holger schon gar nicht!
Quatsch, er war einfach vorübergehend außer Gefecht gesetzt, und ich wäre schön blöd, wenn ich mich jetzt neben ihn hockte und ängstlich seinen Puls fühlte! Ich hatte wahrhaftig Dringlicheres zu tun. Nämlich mein
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