Herr Bofrost, der Apotheker und ich
es albern gewesen wäre, mich zu weigern. Sein Gesicht war glatt, keine Spur mehr von der wutverzerrten Fresse des Gewalttäters von Rotenburg. Nein, vor mir stand, geschniegelt und gebügelt, der Apotheker aus Hameln, in Anzug, weißem Hemd und dezent gestreifter Krawatte, wie ich ihn seit Jahren kannte. Der tat mir nichts. Der wollte bloß sein gutbürgerliches Leben ordnen.
Kleiner Irrtum. Ich hatte kaum die Tür hinter ihm geschlossen, als ich auch schon an die Wand geschleudert wurde. »Du miese, kleine Ratte! Hast du geglaubt, du kannst dich ewig vor mir verstecken?«
Teufel auch! War ich schon wieder auf ihn hereingefallen! Ich würgte und presste meine Hände gegen seinen Brustkorb. Da spürte ich, wie eine Überdosis Adrenalin durch meine Adern schoss.
Und aus Helena wurde Hélène. Vive la liberté! Und die Hinterlist! Meine Fäuste wurden schlaff und öffneten sich. Meine Hände tasteten über Holgers Körper und legten sich weich auf seinen Rücken. »Holger! O Gott, Holger!« Ich schluchzte auf, ließ mich an seine Brust fallen und schmiegte mich an ihn. Ich hob den Kopf und bot ihm mit geschlossenen Augen den geöffneten Mund. Die Demutsgeste.
Und sie funktionierte. Pawlow hätte seine helle Freude gehabt! Für mich war das Ganze weniger lustig. Aber ich wusste, dieser widerlich nasse, nicht gerade zärtliche Kuss konnte meine Rettung sein. Also ertrug ich ihn. Ich fuhr mit den Händen leidenschaftlich über Holgers Hüften, bis ich unauffällig auf der Kommode neben mir herumtasten konnte. Gott sei Dank! Lauras Telefon lag an seinem Platz. Ich ließ es in meine Blazertasche gleiten, schlang freudig erregt meine Arme um Holgers Nacken, drängte mich an ihn und wand mich ekstatisch unter seinen brutalen Griffen, bis er entfesselt keuchte. Sein Mundgeruch machte mich fast ohnmächtig. »Holger«, kicherte ich, falsch und piepsig, »ich mach mir gleich in die Hosen. Ich muss unbedingt pissen!«
Er lachte. ja, echt, er lachte! Er war so sicher, dass er mich wieder am Haken hatte, dass er lachte. Triumphierend, zärtlich, gönnerhaft. »Lenchen, wann lernst du endlich, dich salonfähig auszudrücken?«, fragte er liebevoll und lockerte seinen Griff
Ich hob den Kopf und lachte zurück. Vielleicht, schoss es mir durch den Kopf, sollte ich beim Burgtheater vorsprechen? Mein Repertoire war doch erfreulich vielseitig! »Wenn ich gepisst habe«, sagte ich augenzwinkernd und ließ meine Hand verspielt durch sein Haar gleiten. Wenn das keine Glanzleistung war! Dabei ging mir der Arsch auf Grundeis!
»Liebling, zwei Minuten!« Ich wand mich aus seinem Arm, flitzte ins Bad und schloss ab. Zweimal. Ich drehte den Hahn am Waschbecken auf, friemelte das Telefon aus der Tasche und wählte Lauras Handynummer. Es dauerte ewig, bis sie sich meldete. »Laura! Holger ist bei mir! Hier, in deiner Wohnung! Ihr müsst mich retten!« Ich legte auf und riss mir die Hose vom Leib. Ich musste wirklich pissen. Und mein Herz raste. Vielleicht erwischte es mich jetzt. Gerade jetzt! Das wäre ja echt Scheiße. Dann würde ich nie erfahren, ob Steffen mich doch noch ein ganz kleines bisschen mochte. O Gott! Ich blieb mit heruntergelassenen Hosen auf dem Klo sitzen und stützte den Kopf in die Hände. Warum geriet immer ich in so einen Schlamassel?
Doch noch bevor ich Muße fand, dieser Frage auf den Grund zu gehen, bollerte Holger schon an die Badezimmertür. »Lenchen! Was machst du so lange? Komm endlich!«
»Sofort, Liebling! Ich will mich nur noch etwas frisch machen! Geh nur schon ins Gästezimmer, ich bin sofort bei dir!«, rief ich munter und betätigte die Toilettenspülung. Dann ließ ich den Wasserhahn wieder rauschen und setzte mich auf den Badewannenrand. Und wartete.
Nach zehn Minuten hörte ich Stimmen. Ich stellte das Wasser ab. Sehr, sehr vorsichtig öffnete ich die Tür.
Im Flur, mit dem Rücken zu mir, stand Max. Breitbeinig und kampfbereit, wie ein GI. Und hinter ihm, gegenüber in der Gästezimmertür, sah ich Holger. In Boxershorts, spillerig, bleich und zitternd, mit erhobenen Armen. Er nahm mich nicht wahr und starrte wie hypnotisiert Max an.
Der machte eine energische Kopfbewegung in Richtung Wohnungstür. »Los, nimm deine Sachen und verschwinde! Aber flott, sonst knallt's!«
Und Holger gehorchte, wundersamerweise. Er raffte Anzug, Hemd, Krawatte und Schuhe in seine dürren, nackten Arme und drückte sich an der Flurwand entlang.
Max folgte jeder seiner Bewegungen, langsam drehte er sich um. Und da
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