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Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Titel: Herr Bofrost, der Apotheker und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Neuffer
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spürte, wie wieder Tränen in meinen Augen schwammen. Ich blinzelte und sah, dass Dr. Schnieder mit einer winzigen Kopfbewegung Nina aus dem Zimmer schickte. Sie schloss leise die Tür hinter sich.
    Dr. Schnieder sah mich aus seinen uralten, wimpernlosen, braunen Augen an. »Kummer?«
    Ich nickte, und meine Lippen zitterten. Ich war wieder sieben und ganz doll krank.
    »Na na«, er tätschelte meine Hand, »das geht vorüber, Kindchen. Kummer geht immer vorüber.«
    Ich schüttelte matt den Kopf. »Dieser nicht.«
    Er lächelte geduldig wie eine alte, weise Schildkröte. »Willst du es mir erzählen?«
    Wieder schüttelte ich den Kopf und schloss die Augen. Sein Blick war so gütig, das machte alles nur noch schlimmer. Außerdem wusste er auch so, was los war, irgendwie. Ich brauchte ihm nichts zu erklären.
    »Du ruhst dich jetzt mal ein paar Tage aus. Ich gebe dir etwas, damit du viel schlafen kannst. Und wenn du wach bist, Lenchen, denk nach. Es gibt eine Art von Kummer, die man ertragen muss, die nur die Zeit heilt. Und dann gibt es noch die Art von Schmerz, gegen die man angehen muss. Finde heraus, was für ein Kummer dich plagt, und wenn du denkst, dass du etwas tun kannst, tu es. Auch wenn es dir Angst macht.«
    Ich nickte. Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete. Es war mir auch egal. Dass er mir etwas geben wollte, damit ich schlafen konnte, fand ich gut, nichts anderes interessierte mich im Moment.
    Ich schlief drei oder vier Tage lang. Oft saß Nina an meinem Bett, manchmal, wenn es draußen schon dunkel war, Katharina. Nina sah blass und besorgt aus, Katharina braungebrannt und besorgt. Einmal war auch Laura da, aber vielleicht war das nur ein Traum. Ein schlechter. Auf Laura war ich nicht gut zu sprechen. Am vierten oder fünften Tag waren die kleinen, hellblauen Pillen alle, und ich schlief etwas weniger. Doch aufstehen mochte ich nicht. Was sollte ich in einem Leben, das schmeckte wie kalter Kaffee?
    Ching Li spazierte mit erhobenem Schwänzchen über meine Bettdecke, legte sich auf meine Brust und wollte gekrault werden. So lagen wir stundenlang. Ching Li schnurrte, ich grübelte. Irgendwann fielen mir Dr. Schnieders Worte wieder ein. Wenn du etwas tun kannst, tu es.
    Ja, dachte ich, ich konnte diese alberne so genannte Würde überwinden und das Zauberwort suchen. Vielleicht war es zu spät, aber ich konnte es wenigstens versuchen. Ich konnte ...
    Während ich noch darüber nachdachte, schlief ich ein, wachte irgendwann wieder auf, dachte ein Stück weiter, duselte wieder weg.
    Und dann schlug ich eines Morgens die Augen auf und war glockenwach. Es war noch sehr früh, der Himmel noch blass, die Sonne erst eine Ahnung. Der Beginn eines Sommertages.
    Ich stand auf. Das Haus war still. Im Bad zog ich mein verschwitztes, etwas streng riechendes Nachthemd aus und stellte mich unter Ninas legendäre Dusche. Ich ließ das Wasser von allen Seiten und von oben pladdern und stellte den Strahl immer stärker, bis meine Haut prickelte. Ich seifte mich verschwenderisch ein, drehte mich in dem Wassergeprassel, dehnte mich wohlig und rieb Shampoo in mein Haar, bis riesige, sahnige Schaumflocken auf meine Schultern klatschten. Irgendwann gab ich mir einen Ruck und drehte den Hahn auf kalt. Ich genoss den Schock, hob die Arme, und jeder der kleinen, eiskalten Nadelstiche war ein Push zurück ins Leben. Als ich die Dusche endlich abstellte, sah ich aus wie ein gesottener Hummer. Aber ich fühlte mich unendlich viel lebendiger.
    In der Küche traf ich auf Katharina, die, das Haar vom Schlaf verwuschelt, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, ihren Morgenkaffee trank. Jetzt riss sie die Augen auf. »Lena! Was machst du denn hier?«
    »Frühstück. Ich hab irren Hunger. Auf Spiegeleier mit Speck. Magst du auch?«
    Nun wurde sie vollends wach. »Du bist gesund«, stellte sie zufrieden fest.
    »Ja«, sagte ich. Mehr nicht. Ich würde nichts erklären. Ich hatte eine Sommergrippe gehabt, und das war's. Und Dr. Schnieder hatte seine Schweigepflicht.
    Während Katharina ihren Kaffee trank, machte ich uns ein gediegenes englisches Frühstück. Ich briet Speck, Tomaten und Eier und toastete vier Scheiben von dem frischen, würzigen Dinkelbrot.
    »Du musst unbedingt Laura anrufen«, sagte Katharina. »Sie macht sich schreckliche Sorgen um dich.«
    Die? Die konnte froh sein, wenn ich in diesem Leben überhaupt noch einmal mit ihr sprach!
    Aber Nina setzte mir später auch noch zu, also gab ich nach und nahm gnädig den Hörer

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