Herr Bofrost, der Apotheker und ich
du, so leicht fand ich es nicht, mir einzugestehen, dass ich eine der unzähligen falschen Möglichkeiten gewählt hatte, die man im Leben hat. Irgendwie hatte ich mich ja darin eingerichtet, und, wie ich glaubte, ganz gut. Wirklich, ich fand meine Welt wunderbar in Ordnung, bis du mit deinen blöden grünen Pünktchen dazwischengefunkt hast. Nach denen ich mich plötzlich so sehnte und gegen die ich mich verzweifelt wehrte, weil ich Angst hatte, dass sie mir alles kaputtmachen könnten. Inzwischen weiß ich längst, dass sie nichts kaputtgemacht haben. Wenn ich tatsächlich so glücklich gewesen wäre, wie ich mir eingebildet habe, hättest du ein Hunderttausend-Euro-Feuerwerk mit deinen grünen Pünktchen veranstalten können, ohne dass es den geringsten Eindruck auf mich gemacht hätte. (Na ja, ein bisschen beeindruckt wäre ich schon gewesen, aber nicht irritiert.)
Dass ich dich wieder gesehen habe, war – wie du gesagt hast – der Himmel auf Erden (und ich werde nie wieder um die Alster spazieren können, ohne an dich zu denken). Aber es war damals zu früh –für mich. Darum dieses Hin und Her, darum bin ich so herumgeschlingert.
Verzeih.
Eines lass mich dir noch sagen: Mein Verhalten an diesem Abend im ›Casa Mia‹ war daneben, ich weiß, und ich möchte mich dafür entschuldigen, in aller Form. Mit Demut und Kotau.
Liebster Steffen, vielleicht kommt dieser Brief zu spät –für dich. Für uns.
Versteh mich recht, ich möchte dich nicht unter Druck setzen. Ich werde auch lernen, ohne die grünen Pünktchen zu leben.
Trotzdem ... Ich würde verdammt gern ohne Sehnsucht um die Alster spazieren. Und woanders hin.
Mit dir.
Lena
Ich las den Brief ein letztes Mal. Ich fand ihn anrührend. Ich war einfach nur ehrlich, ohne Wackelei. Und das, fand ich, war ich Steffen schuldig. Ich wollte ihm diese Dinge erklären. Wenigstens das.
Ich faltete die Briefbögen, steckte sie in einen Umschlag. Sehr sorgfältig schrieb ich meinen Namen und Lauras Absender auf die Rückseite und betete, dass Steffen nicht gerade in Timbuktu war, um Sonnenbrillen zu fotografieren. Ich frankierte den Umschlag und steckte ihn in meine Handtasche. Ich würde ihn in Hamburg einwerfen. Wenn du etwas tun kannst, tu es. Auch wenn es dir Angst macht.
Natürlich machte es mir Angst. Vielleicht war mein Gesichtsfeld zurzeit etwas eingeschränkt, aber ich konnte einfach keine andere richtige Möglichkeit in meinem Leben erkennen.
* * *
Doch komisch, nachdem der Brief im Kasten lag, wurde ich ruhig. Möglicherweise war es so, wie Katharina immer sagte – der Körper machte, was die Seele brauchte. Mein Körper jedenfalls schien die Adrenalinproduktion schlagartig einzustellen, wurde schlaff und träge. Und meine Seele auch.
Als ich bei Laura ankam, war sie noch nicht da. Wie immer in solchen Fällen holte ich mir den Schlüssel von Frau Obranski. Laura hatte mir einen Zettel auf den Küchentisch gelegt:
Max und ich sind gegen sieben da, kaufen noch eben ein. Fall bloß nicht über die Reste im Kühlschrank her – heute Abend gibt's Seeteufel à la mode de Max an einer Kompositio n von frischem Blattspinat und karamellisierten Pinienkernen!
Oh là là, Maître Mainzelmännchen! Ich beschloss, wenn ich schon den Kühlschrank nicht plündern durfte, mich noch ein Stündchen hinzulegen. Schließlich war ich eine Rekonvaleszentin, da war das heute fast schon ein Marathon gewesen, wenn nicht ein komplettes Sechs-Tage-Rennen.
Ich hatte kaum meine Tasche im Gästezimmer abgeladen, als es an der Wohnungstür klingelte. Wer konnte das sein? Frau Obranski?
Es war – Holger. Reflexartig wollte ich die Tür zuschlagen, doch sie prallte an Holgers – mit Bedacht – vorgeschobener Fußspitze ab. Hoffentlich hatte er sich wenigstens wehgetan!
»Ich möchte einfach vernünftig mit dir reden, Lena«, sagte er mit Kreidefressstimme.
»Vernünftig? – Du?«
»Natürlich vernünftig, Lena, was glaubst du denn?« Er lächelte auf mich herab. »Schließlich gibt es doch einiges zu besprechen, meinst du nicht? Das sollten wir in aller Ruhe tun. Mir liegt daran, das jetzt schnell zu erledigen, nur deswegen habe ich dir hier aufgelauert.« Es klang tatsächlich nach Abgesang.
Nebenan öffnete sich leise knarzend einen Spaltbreit eine Tür. »Also gut, komm rein«, sagte ich ergeben. Darauf, meine Ehe unter den neugierigen Augen und Ohren der Nachbarschaft abzuwickeln, legte ich wirklich keinen Wert, und Holger machte einen so zivilisierten Eindruck, dass
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