Herr der Diebe
feinen Hotel geworfen worden sind?«
»Wirklich?« Bo zog die Nase hoch und presste sein Gesicht in Victors Mantel. »Ich war so wütend«, murmelte er. »Esther wollte nicht sagen, wo Prosper ist.«
»So, so.« Victor drückte Bo ein Taschentuch in die schmutzigen Finger. »Da. Putz dir die Nase. Prosper geht es gut. Er liegt in einem weichen Bett und träumt von seinem kleinen Bruder.«
»Sie wollte mir einen Scheitel ziehen«, murmelte Bo und strich über sein zerzaustes Haar, als müsse er sich versichern, dass Esthers Bemühungen umsonst gewesen waren. »Und ich durfte nicht auf dem Bett hüpfen. Und den Pullover, den Wespe mir geschenkt hat, wollte sie wegwerfen. Sie schimpft schon wegen sooo einem kleinen Kleckerfleck…«, Bo zeigte den Umfang mit seinen Fingern, »… und dauernd wischt sie in meinem Gesicht herum. Und sagt gemeine Sachen über Prosper.«
»Na, so was!« Victor schüttelte mitfühlend den Kopf. Bo rieb sich die Augen und gähnte. »Mir ist kalt«, murmelte er. »Bringst du mich zu Prosper, Victor?« Victor nickte. »Ja, das mach ich«, sagte er. Aber als er Bo hochheben wollte, duckte der sich zwischen die Sitze. »Da ist einer!«, flüsterte er. Victor drehte sich um.
In der Tür zum Vorraum stand ein Mann und leuchtete mit einer großen Taschenlampe in den Vorführraum. »Was machen Sie denn da?«, rief er mit barscher Stimme, als das Licht auf Victor fiel.
Victor richtete sich auf und legte Bo den Arm um die Schulter. »Ach, dem Kleinen hier ist nur sein Kätzchen weggelaufen«, sagte er so gleichmütig, als wäre nichts Besonderes dabei, mitten in der Nacht in einem geschlossenen Kino zu stehen. »Er dachte, es wäre hier reingelaufen, durch den Notausgang. Das Kino steht doch leer, oder?«
»Ja, aber Dottor Massimo, der Besitzer, hat mich beauftragt, ein Auge darauf zu haben, seit hier zwei elternlose Kinder aufgegriffen worden sind. Das da hinter Ihnen…«, der Mann wedelte mit seiner Taschenlampe, »… das ist auch ein Kind.«
»Scharf beobachtet!« Victor strich Bo durch das feuchte Haar. »Aber er ist nicht elternlos. Das ist mein Sohn. Wie schon gesagt, er hat nur sein Kätzchen gesucht.« Victor blickte sich um. »Das ist ein schönes Kino. Wieso steht es leer?«
Der Mann zuckte die Achseln. »Dottor Massimo will nach all dem Ärger einen Supermarkt daraus machen. Und jetzt gehen Sie. Hier sind keine Katzen, und wenn, dann wären sie längst tot. Ich habe nämlich Rattengift gestreut.«
»Wir sind schon weg!« Victor schob Bo vor sich her zum Notausgang, aber Bo blieb immer wieder stehen. Schließlich hatte er auch gehört, was der Mann gesagt hatte: Ein Supermarkt sollte aus dem Sternenversteck werden.
»Der Vorhang«, sagte er plötzlich. »Sieh doch, Victor, sie haben ihn einfach runtergerissen.«
Schmutzig und zerdrückt lag der schwere Stoff auf dem Boden. »Was haben Sie mit dem Vorhang vor?«, rief Victor dem Wächter zu, der gerade wieder durch die Tür zum Vorraum verschwand.
Unwillig drehte der sich um. »Hören Sie mal, es ist spät!«, rief er. »Verschwinden Sie jetzt mit Ihrem Kleinen. Und wenn Sie der Vorhang interessiert, dann nehmen Sie ihn doch mit.«
»Ach ja? Wie sollen wir das denn machen?«, murmelte Victor. »So ein Idiot.«
Dann zog er sein Taschenmesser aus der Manteltasche und trennte ein großes Stück von dem bestickten Stoff ab. »Hier«, sagte er und drückte es Bo in die Hand. »Als kleines Andenken.«
»Ist Scipio auch bei Ida?«, fragte Bo, als sie aus dem Notausgang traten.
»Nein«, antwortete Victor, wickelte ihn in die warme Decke, die er vorsorglich mitgebracht hatte, und nahm ihn auf den Arm… »Der ist wohl wieder zu Hause. Ich glaube, deine Freunde sind nicht mehr allzu gut auf ihn zu sprechen.«
»Aber sein Vater ist ekelig«, murmelte Bo, obwohl er kaum noch die Augen aufhalten konnte. »Du bist viel netter.« Er schlang seine Arme um Victors Nacken und presste gähnend das Gesicht gegen seine Schulter. Schon auf der Accademia-Brücke schlief er tief und fest. Und Victor trug ihn weiter durch die stillen, menschenleeren Gassen bis zu Ida Spaventos Haus.
Ida selbst öffnete Victor die Tür, im knallroten Morgenmantel, die Augen dunkel vor Müdigkeit. Hinter ihr, mit erschrockenen Gesichtern, standen Wespe, Mosca und Riccio und starrten Victor an, als hätten sie jemand anderes erwartet.
»Was ist denn hier los?«, raunte er, als er sich mit dem schlafenden Bo an ihnen vorbeidrängte.
»Das ist ja Bo!«, rief Wespe so laut, dass Victor
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