Herr der Diebe
Scipio fragen, was er vorhat. Falls er wirklich noch mal zurückkommt. Vielleicht hat er ja noch eine geniale Idee.«
»Was er jetzt wohl treibt«, murmelte Mosca. »Hast du eine Ahnung, Prop?«
Wespe kehrte zu ihrem Bett zurück und knipste die Lampe aus. »Kann sein«, antwortete Prosper und starrte hinauf zur dunklen Decke. Er versuchte sich Scipio vorzustellen: wie er durch die Gassen ging und sein Spiegelbild in den dunklen Ladenfenstern musterte, wie er ins Licht der Laternen trat und betrachtete, wie lang sein Schatten geworden war. Vielleicht ging er in eine der Bars, in denen die Erwachsenen bis tief in die Nacht saßen. Und dann, wenn seine Schritte immer müder wurden, mietete er sich schließlich das Hotelzimmer, von dem er gesprochen hatte, mit einem großen Spiegel, und rasierte sich davor zum ersten Mal das fremde Gesicht. »Meinst du, es geht ihm gut?«, fragte Bo und legte den Kopf auf Prospers Brust.
»Ich glaub schon«, antwortete Prosper. »Ja, ich glaub, es geht ihm gut.«
Als Victor am nächsten Morgen in die Casa Spavento kam, brachte er eine Zeitung mit, von deren Titelseite Scipios Foto blickte. Fast sämtliche Zeitungen der Stadt brachten es an diesem Morgen, zusammen mit einem Aufruf der Polizei an alle Venezianer, dem verehrten Dottor Massimo bei der Suche nach seinem verschwundenen Sohn zu helfen.
Ida war gerade in ihrem Labor und entwickelte Fotos, die sie von den steinernen Löwen der Stadt gemacht hatte. Überall an den Wänden hingen sie, sitzende, schreitende, brüllende, rund-und spitzmäulige Löwen, mit und ohne Flügel, Ida las den Aufruf von Dottor Massimo und seufzte. »Weißt du, wo Scipio ist?«, fragte sie Wespe, die ihr beim Entwickeln zusah.
Aber Wespe schüttelte nur den Kopf. »Wir wissen es alle nicht«, sagte sie. »Nicht mal Prosper.«
»Man sollte dem dottore eine Nachricht zukommen lassen«, brummte Victor. »Auch wenn der Herr der Diebe das anders sieht.« Ida nickte. »Ja, das denke ich auch. Bin gleich zurück«, sagte sie zu Wespe und ging mit Victor in den salotto, wo Barbarossa sich gelangweilt auf dem Sofa rekelte und in einem Buch über Venedigs Kunstschätze blätterte.
»Ich habe nichts angerührt«, sagte er mürrisch, als Ida mit Victor hereinkam. Schon bei Morgengrauen hatte er das Haus wachgeschrien, als er feststellte, dass Ida ihn im salotto eingeschlossen hatte.
»Das will ich dir auch nicht geraten haben, Rotlöckchen«, knurrte Victor.
Ida setzte sich an ihren Sekretär und schrieb etwas auf eine Karte. Die reichte sie dann Victor.
»Lieber Dottor Massimo!«, las er. »Ich möchte Ihnen mitteilen, dass es Ihrem Sohn Scipio gut geht. Allerdings möchte er im Moment nicht nach Hause zurückkehren, und ich fürchte, dass er es auch in nächster Zeit nicht vorhat. Er erfreut sich bester Gesundheit, weiß, wo er schlafen kann, und leidet auch sonst keinen Mangel. Ich bedaure, Ihnen nicht mehr sagen zu können.
Mit freundlichen Grüßen.
Eine Freundin Ihres Sohnes.«
»Könntest du die Karte bei den Massimos in den Briefkasten werfen?«, fragte Ida. »Ich würde das ja auch Giaco erledigen lassen, aber seit Prosper mir erzählt hat, dass er dem Conte den Grundriss meines Hauses verkauft hat, traue ich ihm nicht mehr.« »Kein Problem«, sagte Victor und steckte die Karte ein. »Kann ich sonst noch irgendwie zu Diensten sein?« »Was ist mit der Tante?«
Barbarossa rutschte vom Sofa. Mit verschränkten Armen baute er sich vor Ida auf und blickte zu ihr hoch. »Es ist bereits nach zehn. Ich schlage vor, Sie rufen sie endlich an, damit sie herkommt und ich sie mir ansehen kann.«
Victor hatte schon eine unfreundliche Antwort auf den Lippen, als Wespe den Kopf durch die Tür schob. »Ich habe die Fotos zum Trocknen aufgehängt, Ida«, sagte sie. »Soll ich sonst noch was machen?«
»Ja. Du könntest Prosper und Bo Bescheid sagen«, antwortete Ida und warf Barbarossa einen ärgerlichen Blick zu. »Ich werde gleich ihre Tante anrufen. Vielleicht wollen sie dabei sein.«
Prosper und Bo spielten mit Riccio und Mosca Fußball auf dem Campo. Als Wespe herunterkam und ihnen erzählte, dass Ida tatsächlich ausprobieren wollte, ob Scipios verrückte Idee funktionierte, liefen sie alle mit ins Haus.
Ida saß schon neben dem Telefon, als die vier hereindrängten. Eilig hockten sie sich auf den Teppich, Wespe und Prosper vorsorglich an Bos Seite, damit sie ihm den Mund zuhalten konnten, falls er kichern musste. Barbarossa thronte in Idas bestem Sessel wie ein
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