Herr der Diebe
völlig anders aus als in seinem Laden. Dort gab es keine Kronleuchter, brennenden Kerzen oder Glaskäfer. Das Licht in dem fensterlosen Raum kam von einer Neonröhre, und außer dem großen Schreibtisch und dem gewaltigen Ledersessel dahinter gab es nur zwei Stühle, deckenhohe Regale voll mit sorgsam beschrifteten Kisten und ein Plakat vom AccademiaMuseum, das hinter dem Sessel an der kahlen weißen Wand hing. Unter Barbarossas Guckloch stand eine gepolsterte Sitzbank. Riccio stieg hinauf und lugte in den Laden. »Das musst du dir ansehen, Prop!«, flüsterte er. »Der Rotbart schnurrt wie ein fetter Kater um diese Touristen herum! Ich glaube, aus diesem Laden kommt keiner raus, ohne irgendwas gekauft zu haben.«
»Ja, und ganz bestimmt zu teuer.« Prosper stellte die Tasche mit Scipios Beute auf einem Stuhl ab und sah sich um. »Bestimmt färbt er ihn«, murmelte Riccio, ohne das Auge von dem Guckloch zu nehmen. »Ich hab mit Wespe um drei Comichefte gewettet, dass er es tut.« Barbarossas Kopf war kahl wie eine Christbaumkugel, aber sein Bart wuchs dicht und kraus. Und war rot wie Fuchsfell. »Ich glaub, hinter der Tür da ist ein Bad. Kannst du mal nachsehen, ob er dadrin was zum Färben stehen hat?«
»Wenn es sein muss.« Prosper trat zu der schmalen Tür, von der das Bild einer Madonna herablächelte, und schob den Kopf hindurch. »Mann, hier ist fast so viel Marmor wie im Dogenpalast«, hörte Riccio ihn sagen. »Das vornehmste Klo, das ich gesehen habe.« Riccio presste wieder ein Auge gegen das Guckloch. »Prosper, komm da wieder raus!«, rief er leise. »Der Rotbart schiebt sie schon aus der Tür und schließt ab.« Aber Prosper kam nicht. »Er färbt ihn, Riccio!«, rief er. »Die Flasche steht gleich neben seinem stinkenden Rasierwasser. Puh, riecht das widerlich! Soll ich als Beweis ein Stück Klopapier rot färben?«
»Nein! Du sollst da rauskommen!« Riccio sprang von der Sitzbank. »Schnell, er kommt zurück, verdammt noch mal.« Der Perlenvorhang klimperte – und Prosper und Riccio saßen mit unschuldigen Gesichtern auf den Klappstühlen vor Ernesto Barbarossas Schreibtisch. »Ich werde euch heute das Geld für einen Glaskäfer abziehen«, verkündete der Rotbart, als er sich in seinen gewaltigen Sessel fallen ließ. »Dein kleiner Bruder«, er warf Prosper einen missbilligenden Blick zu, »hat mir letztes Mal einen zerbrochen.«
»Hat er nicht«, protestierte Prosper.
»Hat er doch«, erwiderte Barbarossa ohne ihn anzusehen und nahm eine Brille aus seiner Schreibtischschublade. »Also, was habt ihr mir heute anzubieten? Ich hoffe, nicht nur Katzengold und minderwertige Silberlöffel?«
Mit ausdrucksloser Miene leerte Prosper seine Tasche auf dem Schreibtisch aus. Barbarossa lehnte sich vor, nahm die Zuckerzange, das Medaillon, die Lupe in die klobigen Finger, drehte und wendete sie, betrachtete sie von allen Seiten, während die Jungen ihn beobachteten. Keine Miene verzog er dabei, legte etwas zur Seite, nahm es noch einmal auf, schob es weg, besah es sich wieder, bis Prosper und Riccio vor Ungeduld mit den Füßen scharrten. Schließlich lehnte Barbarossa sich mit einem Seufzer zurück, legte die Brille auf den Schreibtisch und strich sich über den Bart, als kraule er den Pelz eines Tieres. »Angebot oder Forderung?«, fragte er. Prosper und Riccio wechselten einen raschen Blick. »Angebot«, sagte Prosper und versuchte so auszusehen, als wüsste er ganz genau, wie viel Scipios Beute diesmal wert war. »Angebot«, wiederholte Barbarossa, legte die Fingerspitzen gegeneinander und schloss für einen Moment die Augen. »Nun gut, ich gebe zu, diesmal sind ein, zwei ganz nette Sachen dabei, deshalb biete ich euch…«, er öffnete die Augen wieder, »… hunderttausend Lire. Weil ihr es seid.«
Riccio hielt ehrfürchtig den Atem an. Er sah all die Kuchen vor sich, die man für hunderttausend Lire bekam. Berge von Kuchen. Aber Prosper schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er und blickte dem Rotbart fest in die Augen. »Fünfhunderttausend, sonst kommen wir nicht ins Geschäft.« Für einen Moment konnte Barbarossa seine Überraschung nicht verbergen, aber er hatte sich schnell wieder im Griff und zauberte einen Ausdruck ehrlichster Empörung auf sein Mondgesicht. »Bist du verrückt geworden, Junge?«, polterte er los. »Da mache ich euch ein großzügiges Angebot, ein viel zu großzügiges Angebot, und du kommst mir mit so einer wahnwitzigen Forderung? Richtet dem Herrn der Diebe aus, dass er nicht
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