Herr der Diebe
will? Er kann sie nicht ausstehen! Er sagt, sie riecht wie giftige Farbe. Und dass sie…«, er musste lächeln, »… aussieht wie eine von den Porzellanpuppen, die sie sammelt.« Prosper bückte sich und hob einen Plastikfächer auf, der vor einer Hausschwelle lag. Der Griff war angebrochen, aber das würde Bo sicherlich nicht stören. »Bo denkt, ich kann ihn vor allem beschützen«, sagte er und steckte seinen Fund in die leere Tasche. »Aber wenn Wespe uns nicht gefunden hätte…«
»Komm, mach dir jetzt keine Sorgen mehr wegen diesem Schnüffler!« Riccio zog ihn weiter. »Der wird dich nicht noch einmal finden. Ist doch ganz einfach, wir färben Bos Engelshaar schwarz, und dir malen wir das Gesicht an, dass du aussiehst wie Moscas Zwillingsbruder.«
Prosper musste lachen. Riccio konnte ihn zum Lachen bringen, selbst wenn ihm nicht danach zumute war. »Wünschst du dir auch manchmal erwachsen zu sein?«, fragte er, als sie über eine Brücke gingen, die sich verschwommen im Wasser spiegelte. Riccio schüttelte verblüfft den Kopf. »Nein, wieso? Ist doch ziemlich praktisch, klein zu sein. Man fällt nicht so auf, man wird schneller satt. Weißt du, was Scipio immer sagt?« Er hüpfte von der Brücke. »Kinder sind Raupen und Erwachsene sind Schmetterlinge. Und kein Schmetterling erinnert sich mehr daran, wie es sich anfühlte, eine Raupe zu sein.«
»Wahrscheinlich nicht«, murmelte Prosper. »Erzähl Bo nichts von dem Detektiv, ja?« Riccio nickte nur.
Als Victor begriff, dass Prosper ihm entwischt war, trat er vor Wut gegen den nächsten Holzpfahl, der aus dem schmutzigen Kanalwasser ragte. Danach musste er nach Hause humpeln. Den halben Weg lang schimpfte er vor sich hin, so laut, dass sich die Leute nach ihm umdrehten. Aber Victor bemerkte es nicht in seiner Wut. »Wie ein Anfänger«, schimpfte er. »Wie ein Anfänger habe ich mich abhängen lassen. Wer war eigentlich der andere? Für den kleinen Bruder zu groß. Verdammt. Verdammt. Verdammt. Da stolpert mir der Junge direkt vor die Nase und ich lasse ihn davonkommen. Ich Hornochse!« Er trat mit dem verstauchten Fuß nach einer leeren Zigarettenschachtel und verzog das Gesicht vor Schmerz. »Selber schuld«, knurrte er. »Jawohl, selber schuld. Kinder fangen, so was macht ein anständiger Detektiv nicht. Das Schildkrötenfutter hätte ich auch ohne diesen vermaledeiten Auftrag bezahlen können.«
Der Fuß schmerzte immer noch, als Victor seine Haustür aufschloss. »Na gut, wenigstens weiß ich jetzt, dass sie in der Stadt sind«, brummte er, als er die Treppe hinaufhumpelte. »Wo der Große ist, ist auch der Kleine. Das steht fest.«
In seiner Wohnung streifte er erst mal die Schuhe von den schmerzenden Füßen und hinkte auf den Balkon hinaus, um die Schildkröten zu füttern. In seinem Büro roch es immer noch nach Esther Hartliebs Haarspray. Pfui Teufel, er bekam den Geruch gar nicht mehr aus der Nase. Und die Jungen gingen ihm auch nicht mehr aus dem Kopf. Er hätte ihr Foto nicht an die Wand hängen sollen. Dauernd sahen sie ihn an. Wo sie nachts wohl schliefen? Abends wurde es jetzt scheußlich kalt, sobald die Sonne hinter den Häusern verschwunden war. Und im letzten Winter hatte es so viel geregnet, dass die Stadt ein Dutzend Mal unter Wasser gestanden hatte. Nun ja, sie war verwinkelt wie ein alter Fuchsbau, für zwei Kinder fand sich bestimmt immer ein trockener Platz in irgendeinem leer stehenden Haus oder einer der zahllosen Kirchen. Nicht in jeder wimmelte es schließlich von Touristen. »Ich werde sie schon finden«, knurrte Victor. »Das wäre ja gelacht.« Als die Schildkröten satt waren, füllte er sich selbst den hungrigen Magen mit Bergen von Spaghetti und gebratener Wurst. Dann schmierte er sich etwas Salbe auf den schmerzenden Fuß, setzte sich an den Schreibtisch und erledigte etwas von dem Papierkram, der sich dort angestaut hatte. Schließlich hatte er noch andere Aufträge als die Suche nach diesen Jungen. Ich glaube, ich sollte mich in den nächsten Tagen öfter mal auf den Markusplatz setzen, dachte Victor. Mir einen Kaffee bestellen und die Tauben füttern, bis sie irgendwann auftauchen. Wie heißt es doch so schön: Jeder, der in Venedig ist, kommt mindestens einmal am Tag auf den Markusplatz. Wieso sollte das nicht für entlaufene Kinder gelten?
Als Prosper und Riccio endlich ins Sternenversteck zurückkehrten, kam Bo ihnen schon ungeduldig entgegengelaufen, und so erzählten sie erst einmal auch den anderen nichts
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