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Herr der Diebe

Herr der Diebe

Titel: Herr der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Funke Cornelia
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»Ich habe auch falsche Bärte!«, sagte sie. »Eine ganze Sammlung.«
»Wirklich?« Victor warf Riccio einen Blick zu. »Meine wurden mir vor kurzem gestohlen, aber zum Glück habe ich sie heute wieder gefunden.«
Riccio wurde rot und guckte aus dem Fenster. Victor aber folgte Ida zu einem kleinen Raum im Erdgeschoss, in dem nichts als zwei riesige Schränke standen. Dass sie falsche Bärte hat, dachte er, während er sich einen Anzug aussuchte, das ist wirklich erstaunlich.

Wespe saß auf dem Bett, das man ihr zugewiesen hatte, betrachtete die Wände ringsum, kahl und weiß, und schloss zum hundertsten Mal die Augen, um einen anderen Raum zu sehen: einen Vorhang voller Sterne. Eine Matratze, umgeben von Bücherstapeln, die ihr nachts Geschichten zuraunten. Sie rief sich die Stimmen ins Gedächtnis, Moscas, Riccios, immer ein bisschen aufgeregt, Scipios, Prospers – und Bos Stimme, heller als ihre eigene. Wespe fasste nach der kalten, weiß bezogenen Bettdecke und stellte sich vor, sie hielte Bos kleine, runde Hand. So warm… Nicht dass es hier im Waisenhaus kälter gewesen wäre als in dem verlassenen Kino, wahrscheinlich war es viel wärmer, aber Wespe fror. Bis in die Knochen, bis ins Herz. Ob es Bo bei seiner Tante besser ging? Und was war mit den anderen? Wespe spürte, wie ihr Magen knurrte. Sie hatte nichts gegessen, seit die Carabinieri sie hierher gebracht hatten. Nicht das Frühstück, das die Schwestern ihr hingestellt hatten, nicht das Mittagessen. Mittagessen gab es hier sehr früh. Die anderen Kinder waren noch unten im Speisesaal. Der Essensgeruch zog bis herauf in die Schlafräume. Wie viel besser hatte es gerochen, wenn Mosca Spaghetti kochte, auch wenn er immer zu viel Salz ins Wasser tat und die Soße meistens anbrennen ließ. Wespe stand auf und trat an das Fenster, durch das man auf den Hof hinabsehen konnte. Ein paar Tauben pickten zwischen den Steinen herum. Die konnten wegfliegen, einfach so. Wespe sah zwei Erwachsene durch das große Eingangstor kommen, eine Frau mit einem schwarzen Hut und einen Mann mit Bart. Die Nonne mit der lauten Stimme führte die beiden auf das Haupthaus zu. Waren sie gekommen, um ein Kind zu adoptieren? Bestimmt wollten sie ein kleines Kind, möglichst ein Baby. Nur die Kleinen hatten eine Chance, neue Eltern zu bekommen. Die anderen konnten bloß darauf warten, erwachsen zu werden, Jahr um Jahr. Tage, Wochen, Monate. Wie langsam man wuchs. Bos Katzen wuchsen in einer Woche mehr als Wespe im ganzen letzten Jahr. Jahre, Monate, Wochen, Tage.
Wespe legte die Wange gegen die kalte Scheibe und sah hinüber zum anderen Flügel des Waisenhauses, wo sich hinter einem Fenster noch ein Kind die Nase an der Scheibe flach presste. Sie hatte ihren Namen nicht verraten, obwohl die Schwestern sie immer wieder danach gefragt hatten. Sie wollte nicht hier bleiben, aber sie wollte auch nicht nach Hause. Wenn man keine Eltern mehr hatte so wie Riccio, dann konnte man sich ausmalen, wie wunderbar sie gewesen waren. Aber was tat man, wenn man Eltern hatte und sie waren nicht wunderbar? Nein, sie würde ihren Namen nicht sagen. Niemals.
Die Tür ging auf. Erschrocken drehte Wespe sich um. Sie hatte sie zugemacht, als die anderen Kinder nach unten gegangen waren. Die Nonne mit der lauten Stimme steckte den Kopf herein. »Caterina?« Wespe zuckte zusammen. Woher kannte sie ihren Namen? »Aha, das scheint also wirklich dein Name zu sein. Gut, komm bitte mal mit, es möchte dich jemand sehen!« »Wer denn?«, fragte Wespe. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder fürchten sollte.
»Warum hast du nicht erzählt, wer deine Patentante ist?«, schimpfte die Nonne, während sie mit Wespe die kahlen Korridore entlangeilte. »So eine berühmte Dame. Du weißt doch bestimmt, wie viel sie schon für das Waisenhaus getan hat.« Berühmt? Patentante? Wespe verstand gar nichts mehr. Hatte sie eine Patentante? Die Schwester schien aufgeregt zu sein, ständig rückte sie an ihrer Brille herum. Es war eine Brille mit dicken Gläsern, hinter denen ihre Augen seltsam groß aussahen. »Nun komm schon, Caterina!« Die Nonne zog Wespe ungeduldig weiter. »Wie lange soll sie denn noch auf dich warten?« Wer?, wollte Wespe rufen. Was ist hier los? Aber sie schluckte die Worte hinunter, als sie Ida sah. Mit dem Hut hätte sie sie fast nicht erkannt. Und wer war der Mann neben ihr? »Ich glaube, Sie hatten Recht, Signora Spavento!«, trompetete die Schwester schon von weitem. »Sie heißt Caterina, unser

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