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Herr der Diebe

Herr der Diebe

Titel: Herr der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Funke Cornelia
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namenloses Mädchen. Das ist doch Ihre Patentochter, oder?« Leicht wie Luft fühlte Wespe sich plötzlich. Sie wollte auf Ida zurennen, ihr um den Hals fallen, sich unter ihrem weiten Mantel verstecken und nie wieder hervorkommen. Aber sie hatte Angst, alles zu verderben. Und so lächelte sie nur zaghaft und ging zögernd auf Ida und ihren fremden Begleiter zu. »Ja, das ist sie. Cara! « Ida breitete die Arme aus und drückte Wespe so fest an sich, dass ihr gleich warm wurde. »Hallo, Wespe«, raunte der fremde Mann an Idas Seite. Erstaunt sah Wespe ihm ins Gesicht – und erkannte ihn: Victor, den Schnüffler, mit einem neuen Bart. Victor, Bos Freund. Und ihrer.
»Das ist mein Anwalt, cara «, erklärte Ida, während sie Wespe wieder losließ.
»Buon giorno«, murmelte Wespe und lächelte Victor an. »Warum nimmst du die Streitereien deiner Eltern nur immer so ernst, cara?«, fragte Ida und seufzte so tief, als hätte sie mit Wespe schon viel zu oft über ihre dummen Eltern gesprochen. »Dreimal ist sie schon fortgelaufen wegen der ewigen Zänkereien«, erklärte sie der Nonne, die die drei gerührt beobachtete. »Ihre Mutter, eine Cousine von mir, hat leider einen unmöglichen Mann geheiratet, aber sie wird sich wohl bald scheiden lassen. Bis das überstanden ist, nehme ich das Mädchen zu mir, sonst läuft sie womöglich noch einmal weg, und wer weiß, wo die Polizei sie dann aufliest. Das letzte Mal hatte sie sich drüben in Burano verkrochen, stellen Sie sich das vor!«
Wespe lauschte Idas Lügen wie verzaubert. Dabei hielt sie ihre Hand fest, als wolle sie sie nie mehr loslassen. So wahr klang das alles, dass Wespe für einen Moment fast selbst an diese Eltern glaubte, die sich ewig stritten, während ihre Kinder sich die Hände auf die Ohren pressten.
Der Nonne mit der lauten Stimme standen vor Rührung die Tränen in den Augen. Die Gläser ihrer Brille beschlugen, und als sie sie abnahm, um sie sauber zu wischen, sah Wespe, dass ihre Augen klein waren, umgeben von Fältchen, ganz anders, als sie ihr durch die dicken Gläser erschienen waren.
»Kann ich Caterina gleich mitnehmen?«, fragte Ida, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. »Aber natürlich, Signora Spavento«, antwortete die Schwester und setzte ihre Brille hastig wieder auf. »Wir sind so froh, dass wir Ihnen auch einmal behilflich sein können, nach all den großzügigen Spenden, die Sie unserem Waisenhaus haben zukommen lassen. Und die Fotos, die Sie von den Kindern gemacht haben – ich sage Ihnen, sie hüten sie alle wie einen Schatz.« »Ach, schon gut.« Ida wich Wespes neugierigem Blick verlegen aus. »Grüßen Sie bitte Schwester Angela und Schwester Lucia von mir, danken Sie auch der Oberin und schicken Sie mir die Papiere, die zu unterschreiben sind, nach Hause.«
»Natürlich!« Die Schwester eilte zur Tür und hielt sie für Ida auf. »Einen schönen Tag noch, auch Ihnen, Herr Anwalt.«
»Danke!«, brummte Victor, als er mit gewichtigen Schritten an ihr vorbeiging.
Wespe klopfte das Herz bis zum Hals, als sie den Hof überquerten. Unzählige Fenster blickten auf das graue Pflaster herab, kahle, schmucklose Fenster. Nur im Erdgeschoss klebten schon Weihnachtssterne an den Scheiben. Ganz oben presste immer noch ein Mädchen das Gesicht gegen das Glas, genau wie Wespe es getan hatte.
»So viele Fenster«, murmelte Victor neben ihr. »So viele Fenster und so viele Kinder.«
»Ja, und niemand, der sie in den Arm nimmt und sich jeden Tag über sie freut«, sagte Ida. »Was für eine Verschwendung.«
» Arrivederla, Signora Spavento!«, rief die Schwester, die aus dem Pförtnerhäuschen huschte, um ihnen das große Portal zu öffnen. »Du meine Güte!«, brummte Victor, als sie hindurchgingen. »Die behandeln Sie ja, als hätten Sie einen Heiligenschein! Warum ist dieses Tor so hoch? Man könnte meinen, es wäre für eine Elefantenherde gebaut worden und nicht für Kinder.« Wespe machte sich von seiner Hand los. Sie hatte es plötzlich sehr eilig. Sie lief zum Rand des Kanals, an dessen Ufer das Waisenhaus lag, spuckte in das dunkle Wasser, schaute den Schiffen nach, die hinunter zum Canal Grande fuhren, und atmete tief ein.
Einen Moment stand sie so da, die Lungen gefüllt mit der frischen, feuchten Luft.
Dann atmete sie sie wieder aus, ganz langsam, und mit ihr all die Angst und Verzweiflung, die sie erfüllt hatten, seit die Carabinieri sie hergebracht hatten. Aber dann fiel ihr plötzlich Bo ein. Besorgt drehte sie

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