Herr der Diebe
sich zu Ida und Victor um. »Was ist mit Bo?«, fragte sie. »Und mit den anderen?«
Victor zog sich den falschen Bart vom Kinn. »Mosca und Riccio sind bei Ida«, sagte er. »Aber Bo ist noch bei seiner Tante.« Wespe senkte den Kopf und stieß mit dem Fuß eine Zigarettenkippe in den Kanal. »Und Prosper?«, fragte sie. »Den sucht Riccio gerade«, antwortete Victor. »Mach nicht so ein Gesicht. Er wird ihn schon finden.«
Riccio fand Prosper vor dem Gabrielli Sandwirth. Wie festgefroren stand er auf der breiten Promenade, ohne die Leute zu beachten, die an ihm vorbeigingen. An der Riva degli Schiavoni herrschte immer Gedränge, selbst an einem so schneidend kalten Tag wie diesem, denn einige der schönsten Hotels der Stadt lagen hier. Zahllose Schiffe liefen die Anlegestellen an, es war ein einziges Kommen und Gehen. Prosper hörte, wie der Wind die Schiffe gegen die Anleger trieb, wie sie dumpf gegen das Holz prallten, er hörte die vorbeigehenden Menschen lachen und reden, in unzähligen Sprachen, aber er stand nur da, den Kragen hochgeschlagen gegen die eisige Kälte, und sah zu den Fenstern des Sandwirth hinauf. Als Riccio ihm die Hand auf die Schulter legte, drehte er sich erschrocken um. »He, Prop, da bist du ja endlich!«, sagte Riccio erleichtert. »Ich such schon den halben Tag nach dir. Hier war ich auch schon ein paar Mal, aber du warst nicht da.«
»Tut mir Leid«, murmelte Prosper und drehte sich wieder um. »Ich bin ihnen den ganzen Tag hinterhergelaufen«, sagte er, »ohne dass sie es gemerkt haben. Manchmal hat Bo mich fast entdeckt, dann hab ich mich schnell geduckt. Ich hatte Angst, er dreht durch, wenn er mich sieht. So was kann mein Onkel gar nicht leiden.« Prosper strich sich das Haar aus der Stirn. »Ich bin ihnen überallhin gefolgt. Sie haben Bo was zum Anziehen gekauft, sogar eine Fliege wollte Esther ihm umbinden, aber die hat Bo heimlich in einen Papierkorb geschmissen. Du würdest ihn nicht wieder erkennen. In den zu großen Pullovern, die Scipio ihm mitgebracht hat, sah er wirklich ganz anders aus. Sogar zum Frisör haben sie ihn geschleppt, keine Spur ist mehr von der schwarzen Farbe zu sehen, die wir ihm auf den Kopf geschmiert haben. Dann sind sie mit ihm von einem Café zum nächsten gewandert, doch er hat nie was angerührt, egal, was sie ihm bestellt haben. Er hat einfach nur über ihre Köpfe weggestarrt. Einmal hat er mich, glaub ich, hinter der Scheibe entdeckt und wollte losrennen, aber mein Onkel hat ihn sich geschnappt wie einen kleinen Hund und wieder auf den Stuhl gesetzt. Vor das riesengroße Eis, das er nicht essen wollte.«
»Warum hat er es nicht gegessen?« Riccio konnte sich nichts und niemanden vorstellen, der ihm den Appetit auf große Eisbecher verderben könnte.
Prosper musste lächeln. Aber sein Gesicht wurde sofort wieder ernst. »Sie sind jetzt dadrin«, sagte er und zeigte hinauf zu den erleuchteten Fenstern. »Irgendwann hab ich mich getraut, reinzugehen und den Portier zu fragen, in welchem Zimmer Esther wohnt. Aber der Kerl hat nur gesagt, die Hartliebs sind nicht zu sprechen. Für niemanden.«
Ein paar Augenblicke lang standen die beiden Jungen nebeneinander da und blickten zu den Fenstern hinauf. Schöne Fenster waren es, hell erleuchtet, mit schimmernden Vorhängen. Hinter welchem Bo wohl steckte?
»Komm jetzt!«, sagte Riccio schließlich und blickte einem Mann nach, der seinen Fotoapparat leichtsinnig hin-und herschwenkte.
»Du kannst doch nicht bis in die Nacht hier herumstehen. Willst du nicht wissen, wo wir untergekommen sind? Victor hat uns geholfen, unseren Kram zusammenzupacken, und dann haben wir alles zum Campo Santa Margherita geschleppt. Mosca hat den ganzen Weg lang genörgelt, dass das eine Schnapsidee von mir ist, aber was soll ich dir sagen? Ida hat uns ohne mit der Wimper zu zucken aufgenommen! Sogar ein eigenes Zimmer haben wir, unterm Dach. Die Matratzen konnten wir ja nicht mitnehmen, aber Ida hatte noch zwei alte Betten, die haben wir erst mal zusammengeschoben. Wird ein bisschen eng für uns alle, aber besser als draußen schlafen ist es allemal. Nun sag doch mal was! Ist das nicht wunderbar? Komm, es gibt auch bald was zu essen. Ich sag dir, die dicke Haushälterin kann kochen!« Er griff nach Prospers Arm, aber Prosper schüttelte den Kopf. »Nein!«, sagte er und machte sich los. »Ich bleib hier.« Riccio stieß einen tiefen Seufzer aus und warf einen Blick zum Himmel, als bitte er um Beistand von dort oben. »Prop!«,
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