Herr der Finsternis
für die beiden nächsten Tage. Dann jedoch erbarmte sich mein Herz: selbst für Abraham Cocke von der May-Morning und der Dolphin. Und ich entschloß mich, dem Bösen mit Gutem zu begegnen, wie der Herr es uns geboten hat. So schickte ich einen meiner Negerknaben auf den Markt, um ein gewisses Gift zu erwerben, das die Schwarzmohren beim Fischfang benutzten und mit dem sie die betäubten Geschöpfe veranlassen, an die Wasseroberfläche zu steigen, wo sie dann mit dem Netz eingefangen werden. Und ich trug dem Knaben auf, die Phiole mit diesem Gift ins Wirtshaus zu bringen, sie Cocke zu geben und ihm zu sagen: »Dies ist von Andrew Battell, der Barmherzigkeit willen, damit Ihr Euern Weg schneller zurücklegen könnt.«
Ich weiß nicht, ob er das Gift benutzte, doch ich glaube schon. Denn am nächsten Tag führten mich meine Streifzüge zu diesem Inn, und ich sah, wie ein Sarg hinausgetragen wurde, und erkundigte mich bei dem Gastwirt danach, der sagte: »Das ist dieser ungehobelte Engländer, der in dieser Nacht ganz plötzlich gestorben ist.«
Und so erfährt seine Seele nun das Fegefeuer für seine vielen Missetaten, auch die ernsten, die er durch Nachlässigkeit oder Böswilligkeit mir zugefügt hatte; und unter diese Rechnung zwischen Abraham Cocke und mir ist nun ein Strich gezogen. Ich habe manchmal ein oder zwei Gebete für seinen Seelenfrieden gesprochen.
In meinen letzten Tagen in São Paulo de Luanda begegnete ich auch einer zweiten Person aus früheren Jahren, mit der ebenfalls eine mächtige Verwandlung vonstatten gegangen war und die mir eine große Überraschung bereitete. Dies ereignete sich, als ich mich vor der großen Kirche der Stadt befand, die Glocke läutete und ein Dutzend schwarze Nonnen herauskamen, alle in ihren Zevvera-gestreiften Trachten und mit gesenkten Köpfen. Diese heiligen Frauen gingen im Gänsemarsch an mir vorbei zu ihrem Kloster; alle bis auf eine, die aus der Reihe trat, zögernd stehenblieb und zu mir zurückschaute. Und ich sah sie an, doch nur beiläufig, denn ich kannte keine Nonnen. Und doch stand sie da, musterte mich, ergründete mein Gesicht, trat schließlich näher zu mir und sagte mit leiser, sanfter Stimme: »Du bist Andres, nicht wahr?«
»Der bin ich.«
»Und ich bin dir eine Fremde?«
Ich lächelte und sagte: »Ich kenne Euch nicht, gute Schwester.«
»Ah, ich glaube, du kennst mich sehr gut«, sagte sie.
Ich betrachtete sie näher, und es war immer noch ein Mysterium, denn sie war eine Frau mittleren Alters, mit einem runden, herzlichen Gesicht, hellen, freundlichen Augen und einer Haut, die eher rötlich-braun denn schwarz gefärbt war. Und als ich sie musterte, fiel der Schleier der Jahre von mir ab, und ich sah vor meinem geistigen Auge keine Nonne mehr, sondern ein Mädchen von vielleicht vierzehn Jahren, drall und nackt, mit festen, hochstehenden Brüsten, einem starken, runden Gesäß und einem Brandzeichen der Sklaverei an der Innenseite ihres Schenkels, direkt unter den Lenden. Und ich schämte mich dafür, denn es ist nicht anständig, sich eine Nonne so vorzustellen. Doch ich sah auch, wie dieses fesche nackte Mädchen mich umarmte, und in meinem Gedächtnis hörte ich ihre keuchenden Geräusche des Entzückens, und heiße Wogen des Erstaunens brandeten durch meine Seele.
»Matamba?« fragte ich stammelnd.
Sie nickte. »Aber das ist nicht mehr mein Name. Es war nie mein Name, obwohl es mir nicht schlecht gefallen hat, daß du mich so genannt hast, Andres. Ich bin nun Schwester Isabel, und als Schwester Isabel werde ich sterben.«
»Ah, es tut meinem Herzen gut, dich noch einmal zu sehen!« rief ich. »Denn nach meiner Rückkehr in diese Stadt habe ich lange nach dir gesucht. Aber niemand wußte von dir.«
»Nay«, sagte sie, »die Matamba, die deine Sklavin war, ist tot, und die Matamba, die so oft auf dem Hurenmarkt benutzt wurde, ist tot, und nur noch Schwester Isabel lebt in diesem Körper. O Andres, Andres, wie ich mich freue, daß der Herr dich behütet hat! Komm, nimm meine Hand, laß uns unsere Freundschaft erneuern!«
Und sie nahm meine Hände in die ihren und drückte sie überaus fest, woraufhin ich wieder Scham empfand.
»Ist dies erlaubt?« fragte ich. »Wo du nun eine Nonne bist?«
»Es fügt uns keinen Schaden zu, wenn wir uns berühren«, sagte sie. »Denn wir sind alte Freunde, und wir haben keine Geheimnisse zwischen uns. Willst du mir hineinfolgen?«
»Aye.«
Ich ging mit ihr in die Kirche, auch wenn es eine
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