Herr der Finsternis
Register geschaut, und es ist Euch in diesen vielen Jahren ein großes Unrecht geschehen. So sollt Ihr nun nach Hause zurückkehren.«
»Und bekomme ich Eure schriftliche Erlaubnis?«
»Die sollt Ihr haben«, sagte er und gab mir ein schriftliches Dokument und auch eine Börse mit Gold. Es war nicht viel Geld, und verglichen mit den Vermögen, die ich in diesem Land zweimal verloren hatte, sehr wenig, doch ich würde zumindest ein paar Münzen klingeln lassen können, wenn ich England betrat. Ich mußte nur noch kurze Zeit warten, bis das nächste Schiff nach Spanien aufbrechen würde. Ich war mir sicher, daß sie in dieser kurzen Zeit eine Möglichkeit finden würden, mir dieses Geschenk der Freiheit wieder zu entziehen, doch dem war nicht so.
Während ich in São Paulo de Luanda war und der Dinge harrte, erzählte mir ein Holländer namens Janszoon, der dort Handel trieb, daß ein anderer Engländer, ein alter und kranker Mann, in der Stadt sei und in einem Wirtshaus am Hafen wohne. Die Nachricht, daß ein Landsmann hier weilte, hob meinen Mut sehr, denn ich hatte seit zwanzig Jahren keinen Menschen meiner Rasse mehr gesehen, seit jener Zeit, da Thomas Tomer aus Angola geflohen war. In der Tat hatte ich eine starke Ahnung, dieser alte Engländer könne vielleicht Tomer sein, der womöglich die ganze Zeit über auf ähnlichen Pfaden wie ich gewandert und am Ende am gleichen Ort gestrandet war. So ging ich zu dem Wirtshaus und sagte zu dem Portugiesen, der der Wirt war: »Habt Ihr einen Engländer hier liegen?«
»Aye, er ist ein elender Lump und überaus verdrossen.«
»Ich möchte ihn trotzdem gern sehen.«
»Ihr werdet Euch von ihm nur die Pest holen.«
»Und wenn ich sie mir hole, dann sterbe ich, weil ich einem Landsmann helfe, und dies ist keine schlechte Sache.«
Der Gastwirt zuckte die Achseln, als wolle er sagen, was ich mir antat, ginge auf meine Kappe, führte mich zu einem dunklen und muffigen Zimmer im ersten Stock, und rief hin ein: »Du hast einen Gast, Bursche!«
Aus der Dunkelheit kam ein mürrisches, knurrendes und hustendes Geräusch, mehr nicht.
Ich ging hinein. So sicher war ich mir, daß dies Tomer war, daß sich mein Verstand schon mit den Geschichten füllte, die ich ihm erzählen wollte, von all meinen Reisen und Qualen und Frauen und so weiter, wobei eine Geschichte über die nächste stolperte, als ich sie schnell und eilends in meinem Kopf ordnete und überlegte, welche ich ihm zuerst erzählen sollte.
Doch der Mann war nicht Thomas Tomer.
Es war ein kleiner, eingefallener, verfallener Mann mit käsigem Gesicht, rundem, kahlem Kopf und flechsigem, dünnen Bart, der zitterig und schwach am Fenster saß.
Als ich eintrat, blickte er zu mir auf, sah mich jedoch nicht, denn seine Augen waren fahl und blind, und er schnüffelte laut, als würde er mich allein durch den Geruch finden.
»Es heißt«, sagte ich, und es fiel mir nicht leicht, nach einem so langen Aufenthalt hier die richtigen englischen Redewendungen zu finden, »Ihr seid ein Engländer.«
»Aye.«
»Ich bin auch einer, der seit zwanzig Jahren an diesen Gestaden weilt.«
Darauf erwiderte er nichts.
»Geht es Euch nicht gut?« sagte ich. »Kann ich Euch irgendwie helfen?«
»Ich möchte sterben, kann es aber nicht. Mein Leben ist vorbei, und dennoch lebe ich weiter.«
»Sagt niemals, Ihr würdet den Tod willkommen heißen, bis zu dem Augenblick, da der Tod auf Euch liegt. Kommt, Bruder, gehen wir ein Stück in der frischen Luft des Strandes.«
»Laßt mich in Ruhe.«
»Die Brise wird Euer Blut wieder zum Fließen bringen und Eure Gesundheit wiederherstellen.«
»Laßt mich in Ruhe. Ich habe nicht den Wunsch, daß meine Gesundheit wiederhergestellt wird.«
»Ich bitte Euch, Bruder…«
»Verdammt, laßt mich in Ruhe!« schrie er mit einem eulenhaften Krächzen, das mehr Pein denn Zorn enthielt. Speichel befleckte sein Gesicht, und er erhob sich ein Stück von seinem Stuhl und schlug mit einer zur Klaue geformten Hand nach mir, konnte sich aber nicht vollends erheben und fiel zitternd wieder zurück, saß zusammengekauert und fahrig da. »Seht Ihr nicht«, sagte er mit sehr leiser Stimme, »ich bin zu schwach, um zu stehen! Und doch kann ich nicht sterben. Und doch verschmäht mich der Tod.«
»Das sehe ich«, sagte ich. Und es galt ihm mein ganzes Mitleid, denn er war ein elender Sterblicher in höchster Not, und es war meine christliche Pflicht, ihn zu trösten. Ich zog einen zweiten Stuhl heran und setzte
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