Herr der Krähen
vielleicht sogar die Hand, wie er damals die meine schüttelte …“
Er betrachtete seine rechte Hand, und für einen kurzen Augenblick waren Staunen und Entsetzen auf seinem Gesicht.
„Was hast du mit meinem Handschuh gemacht?“, fragte er und sah Vinjinia scharf an.
Vinjinia spürte, dass er kurz davor war zu explodieren, und beeilte sich, ihn zu beruhigen: Sie erklärte, den Handschuh ausgezogen zu haben, weil sie glaubte, er sei von seinen Feinden aus Neid auf seine mit dem Geruch des Herrschers behaftete Hand präpariert worden. Zu ihrer großen Erleichterung war er daraufhin nicht mehr verärgert.
„Dann werden meine Feinde vor Neid sterben, denn am Tag der Einweihung des Areals wird genau diese Hand die Hand des Herrschers erneut schütteln, und diesmal werde ich ihre Pläne durchkreuzen, indem ich keinen Handschuh trage, der die durch seine Berührung gesegnete Stelle kennzeichnet. Nyawĩra, merken Sie sich das. Nachdem der Herrscher Ihre Hand berührt hat – keinen Handschuh!“
Er unterbrach sich und wurde nun fast hysterisch.
„Ja, Sie und ich, wir haben diese Geister, die Marching to Heaven unterstützen, losgelassen. Wir haben den Aushang KEINE FREIEN STELLEN. KOMMEN SIE MORGEN WIEDER! genau zum richtigen Zeitpunkt entfernt. Und sehen Sie das Ergebnis! Diese Jungs von der Uni, die behaupten, sie seien die Bewegung für die Stimme des Volkes, und sich gegen Marching to Heaven stellen, stecken jetzt in einem dunklen Loch, vollkommen isoliert! Ihre ganze Propaganda gegen das Projekt hat nichts gebracht. Nahezu überall stimmen die Leute jetzt mit ihren Füßen ab, dank uns. Es lebe die Anschlagtafel! Diese Jungs werden vor Neid erblassen, wenn sie sehen, wie jemand wie Sie, Nyawĩra, jemand in Ihrem Alter, die Hand des Herrschers schüttelt. Aber nicht vergessen … keinen Handschuh … Überlassen Sie das mir.“ Er versuchte es mit einem selbstironischen Scherz und lachte darüber.
Kaniũrũ konnte sich nicht mehr zurückhalten; er hob seinen Kopf von der Zeitung und schaute sich nach der Quelle dieser Ausgelassenheit um.
18
Nach Arbeitsschluss bat Nyawĩra Vinjinia, sie ausnahmsweise zur Bushaltestelle mitzunehmen. Sie wollte jede mögliche Begegnung mit Kaniũrũ vermeiden und so früh wie möglich zu Hause sein.
Auf der Busfahrt waren ihre Gedanken bei Kamĩtĩ. Sie erinnerte sich, wie sie sich in Tajirikas Büro zum ersten Mal begegnet waren; wie sie mit ihm gefühlt hatte, als er erzählte, über drei Jahre vergeblich nach Arbeit gesucht zu haben; wie sie seine Demütigung durch den herzlosen Tajirika miterlebt hatte; wie A.G. sie später durch das Grasland gejagt und wie sie – am Rande körperlicher Intimität – die ganze Nacht hindurch vertraut geredet hatten.
Inzwischen sprachen sie kaum noch über jenen Augenblick, nicht einmal im Scherz, noch waren sie in Versuchung geraten, ihn zu wiederholen. Andererseits war sie mit Kamĩtĩ im Reinen und von sich selbst überrascht, ihm ihr Herz geöffnet zu haben. Zwar war sie vorsichtig, was Einzelheiten der Bewegung anging: ihre Mitglieder, ihre Führung, ihre Pläne, doch spürte sie gleichzeitig, dass sie alle persönlichen Dinge offen mit ihm besprechen konnte. Er war anders als die meisten Männer, denen sie begegnet war. Er hatte keine festgefahrene Vorstellung, welchen Platz Frauen in der Welt einzunehmen hatten. Sie fühlte sich ihm nahe, obwohl sie die Frage quälte, wer Kamĩtĩ tatsächlich war.
Nyawĩra glaubte nicht an Weissagungen, Prophezeiungen oder die Macht von Zaubertränken, die Herzen und Seelen verwandelten. Sie glaubte nicht an eine materielle Existenz Gottes und böser Geister. Die Menschen schufen sich durch ihre Taten ihren eigenen Himmel oder ihre eigene Hölle. Wenn sie grausam gegen sich selbst oder gegen andere waren, fachten sie lediglich das Feuer einer Hölle an, die sie selbst geschaffen hatten, ein schreckliches Vermächtnis für diejenigen, die nach ihnen kamen. Auf der anderen Seite waren gute Taten ein wertvolles Erbe für künftige Generationen. Sie selbst ließ sich von dem einfachen Grundsatz leiten: Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst. Trotzdem hatte Kamĩtĩ ihre Skepsis gegenüber magischen Riten ins Wanken gebracht. Wie konnte er anderen in die Seele schauen? Wen sahen A.G. , der alte Mann und jetzt Tajirika in ihm? Wie war es möglich, dass sich Tajirika ohne das geringste Anzeichen des Bedauerns von drei Geldsäcken trennte? Sie wusste, wie sehr Tajirika Geld
Weitere Kostenlose Bücher