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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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auch mit Nachtsichtgeräten ausgestattet haben, warum waren sie Ihnen nicht gut genug? Das sind die Fakten des Falles. Sie sind der Richter. Wie lautet Ihr Urteil?“
    „Mein Freund“, antwortete Tajirika, der, ohne dass es ihm bewusst wurde, den Ton eines Juristen anschlug. „Ich erkenne zwar die Logik Ihrer Mutmaßungen, aber ich kann nur die Wahrheit sprechen, auch wenn diese mit der Logik kollidiert. Denn Ihnen, wie Sie mir gesagt haben, wird nur die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit alle Zweifel nehmen und sie veranlassen, mich auf freien Fuß zu setzen. Über manches lässt sich nur schwer sprechen, weil – wie ich Ihnen schon letztes Mal sagte, als wir darüber redeten – diese Dinge, vor allem die Krankheiten, für den, der darüber reden muss, peinlich sind. Als Tripper und Syphilis noch eine tödliche Gefahr darstellten, behauptete man, diejenigen, die daran litten, seien einer ernsten Form von Grippe zum Opfer gefallen. Mit dem Todesvirus heute ist es dasselbe. Jedem Opfer wird nachgesagt, an Nierenversagen gestorben zu sein. Meine Krankheit hatte nicht direkt mit dem Herzen zu tun … Ich will also sagen, dass es wirklich eine Krankheit war, für die es keinen Namen gibt.“
    „Bitte, Mr. Tajirika, lassen Sie die Scherze. Während unseres ersten Gesprächs haben Sie mir offen von Ihrer Herzkrankheit erzählt.“
    „Meine Krankheit hat wirklich keinen richtigen Namen.“
    „Eine Krankheit ohne richtigen Namen?“
    „Krankheiten klopfen nicht an und sagen: Guten Tag, ich heiße Soundso, bitte erlauben Sie mir einzutreten; sie verschaffen sich gewaltsam Zutritt, mehr wie bei einem Staatsstreich. Wissen Sie, Soldaten holen Sie ab und …“
    Njoya wartete nicht ab, bis er den Rest zu hören bekam. Er sprang auf und hämmerte wie wild an die Tür. Zwei Wachen kamen herein, die Waffen im Anschlag. Einen Augenblick lang glaubte er selbst, die beiden wären Teil des Putsches, und versuchte, ihnen zu sagen, dass er auf ihrer Seite stand, doch kam kein Wort aus ihm heraus. Die Wärter legten Tajirika Handschellen an, drückten ihn auf seinen Stuhl zurück und richteten ihre Gewehre auf ihn. Njoya erkannte seinen Fehler, gab den Wärtern ein Zeichen zu gehen und murmelte eine faule Ausrede: Hab nur mal getestet, wie lange ihr braucht. Ihr habt mit Auszeichnung bestanden.
    „Was ist nur los mit Ihnen?“, fragte Njoya, als er sich wieder zu dem mit Handschellen gefesselten Tajirika umdrehte. „Es handelt sich hier um eine ernste Angelegenheit.“
    „Was meinen Sie?“, fragte Tajirika verwirrt.
    „Ich stelle Ihnen eine einfache Frage und Sie antworten mir mit solchem Blödsinn über einen Staatsstreich und Soldaten …“
    „Sie haben mir ein Szenario vorgelegt“, erklärte Tajirika, „und ich habe Ihnen geantwortet, indem ich ein Bild gezeichnet habe, um Ihnen zu zeigen, wie solch ein Angriff jemanden völlig sprachlos machen kann. Mit einem einzigen, winzigen Wörtchen wie …“
    „Sie haben also nicht an einen echten Staatsstreich gedacht?“
    „Ich, an einen Staatsstreich?“, antwortete Tajirika und musste beinahe über die Absurdität lachen.
    „Hören Sie auf, Bilder zu zeichnen, und erzählen Sie mir von der Krankheit.“
    Stockend begann Tajirika von seinem bedauernswerten Zustand zu berichten, bevor er den Zauberer aufsuchte, noch immer bedacht, dabei nicht zu viel zu verraten. Also erzählte er, wie kurz nach seiner Beförderung zum Leiter von Marching to Heaven Leute in sein Büro kamen, die sich in der Zukunft Verträge erhofften. Jeder habe einen Umschlag mit ein paar Münzen hinterlassen, vielleicht um darauf anzuspielen, welchen Reichtum man sich von diesem Projekt für die Zukunft versprach. Als er nach Hause ging, habe er die Münzen schon beinahe wieder vergessen, dann jedoch habe auch er angefangen, über den unermesslichen Reichtum nachzudenken, den Marching to Heaven hervorbringen würde. „Bei den Münzen im Umschlag handelte es sich nur um eine Kleinigkeit, um Zeichen der Anerkennung, aber offensichtlich lösten sie in meinem Kopf etwas aus, das mich dazu verführte, mir beständig wachsenden Reichtum vorzustellen. Aber das Schlimmste sollte erst noch kommen. Bald bildete ich mir ein, die Leute wären neidisch auf mich, eine Unmenge von Neidern kam aus allen Richtungen auf mich zu. Ich rannte davon und schloss mich im Badezimmer ein. Aber sie kamen noch immer und wollten mir die Haut aus dem Gesicht kratzen. Stellen Sie sich mal einen Mann ohne

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