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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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gehört, dass sich Ihre Frau jemals in einer kompromittierenden Lage befunden hat.“
    „Wovon sprechen Sie dann?“
    „Von Bildern. Ich habe hier ein paar Fotos, und ich möchte, dass Sie sie sich ansehen und mir sagen, was sie darüber wissen.“
    Sikiokuu ging zu einer Kommode an der Wand und kam mit einem Umschlag zurück, den er Tajirika gab. Tajirika zog ein Bild heraus und schaute es lange und angestrengt an. Dann blätterte er schnell durch die übrigen und schüttelte den Kopf. Anschließend fing er wieder von vorne an. Nein, seine Augen trogen ihn nicht; trotzdem konnte er nicht glauben, was er sah.
    Die Fotos zeigten Vinjinia, die irgendwo im Freien vor einer Gruppe tanzender Frauen saß, die alle traditionelle Gewänder trugen. Sikiokuu verriet nicht, dass er selbst diese Aufnahmen an dem Tag angeordnet hatte, als Vinjinia sich Sikiokuu vor Kaniũrũs Büro entgegenstellte. Die Fotos waren aus unterschiedlichen Winkeln so aufgenommen worden, dass man weder Kaniũrũ und Sikiokuu noch die anderen Oberen, die bei dieser Veranstaltung anwesend waren, sehen konnte. Aber Vinjinia war auf jedem der zehn Fotos, entweder allein oder gemeinsam mit den tanzenden Frauen, und es schien, als tanzten die Frauen einzig und allein für ihren Ehrengast Vinjinia.
    Tajirika hatte das Gefühl, als würde seine Zunge anschwellen. Seine Lippen öffneten und schlossen sich, ohne dass er ein Wort sagen konnte. Seine Hände zitterten. Er setzte sich und warf die Bilder auf den Tisch. Seine Lippen bebten immer noch, als er Sikiokuu anschaute und wenig überzeugend sagte:
    „Ich kann es einfach nicht fassen.“
    „Was können Sie nicht fassen? Dass sie Ihre Frau ist? Oder sind das keine Fotos von ihr? Oder dass sie nicht zu der Sorte Frauen gehört, die Schande über den Bauplatz für Marching to Heaven gebracht haben?“
    „Ich glaube nicht, dass mir Vinjinia so etwas antun würde.“
    „Vielleicht könnten Sie so freundlich sein, mir das eine oder andere zu erklären. Die vom Geheimdienst haben mir gesagt, Sie hätten die ganze Zeit abgestritten, etwas über die Frauen zu wissen, die das getan haben. Sie behaupten, Sie hätten nicht nur jede persönliche Kenntnis abgestritten, sondern auch, dass Ihre Frau etwas wüsste. Und gleichzeitig haben Sie zugegeben, in der Zeit, in der Sie krank waren, Nyawĩra und Ihrer Frau die Leitung Ihres Geschäfts übertragen zu haben. Eben den beiden, die Sie dann auch zum Zauberer brachten. Woher wollen Sie wissen, dass sie Sie heilen wollten? Woher wollen Sie wissen, dass sie nicht vorhatten, Ihnen mit einem Zaubertrank den Geist zu verwirren? Und selbst wenn Sie an ihre Unschuld und guten Absichten glauben, können Sie von dem Hexenmeister dasselbe behaupten? Können Sie sicher sein, dass er nicht irgendeinen Groll gegen Sie hegte und nun seine Chance sah, indem er den Frauen etwas vormachte? Und Sie wissen ja selbst, wie leichtgläubig Frauen sind.“
    „Aufhören bitte. Ich bitte Sie von Mann zu Mann, lassen Sie mich nach Hause gehen, jetzt sofort, und mit dieser Verräterin abrechnen.“
    „Titus, Sie wissen, wenn es nach mir ginge, könnten Sie nach Hause gehen, wann immer Sie wollen. Doch da es sich hier um Angelegenheiten der Staatssicherheit handelt, zählen meine persönlichen Gefühle nichts, wenn es darum geht, den Ernst einer Lage einzuschätzen. Wir halten uns einfach an die Tatsachen. Ich bin davon überzeugt, dass Sie das verstehen würden, wenn Sie an meiner Stelle wären, Titus. Also werfen wir einen Blick auf die Fakten. So, wie man sie dem Herrscher vorlegen wird, sobald er zurück ist. Sie haben Nyawĩra angestellt. Die Warteschlangen sind zuerst vor Ihrem Büro entstanden, und zwar an genau der Stelle, an der Nyawĩra am Abend zuvor einen Aushang angebracht hat. Hier sehen Sie Fotos von Vinjinia, Ihrer Frau, die sich von Frauen in traditioneller Kleidung unterhalten lässt. Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein, Titus. Wie wollen Sie aus diesem Schlamassel herauskommen? Irgendeinen Vorschlag? Und deshalb habe ich nach Ihnen geschickt. Um Ihnen den Ernst Ihrer Lage begreiflich zu machen, damit wir gemeinsam überlegen können, wie wir Sie aus dieser Klemme herauskriegen.“
    Tajirika hatte das Gefühl, verrückt zu werden. Er wollte den Kopf in die Hände stützen, lehnte sich dann aber zurück und starrte an die Decke.
    Eines hatte das Gespräch unzweifelhaft klargestellt: Es hatte keinen Regierungswechsel gegeben, der Herrscher war noch immer das Oberhaupt, und das

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