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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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kompromittierenden Fotos betrachtete. Das Bild seiner Frau als Ehrengast einer Frauenversammlung beherrschte jeden Gedankengang. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass die Bilder echt waren. Er erkannte sogar das Kleid, das sie trug. Trotzdem war das Ganze absurd, grausam und unangenehm, und er hatte Mühe, mit Sikiokuus Wortklaubereien und Verdrehungen mitzuhalten. Statt Sikiokuu zu antworten, leerte er den letzten Tropfen seines Glases und streckte wortlos die Hand aus, um sich einen weiteren Brandy einschenken zu lassen.
    Sikiokuu war gerne bereit, diesem Wunsch nachzukommen, und ging zur Hausbar. Er merkte, wie Tajirikas Widerstand nachließ und wie verwirrt er war. Vielleicht würden ein oder zwei Drinks ein freiwilliges Geständnis, das auch seinen Rivalen belastete, erleichtern. Natürlich wurde die gesamte Unterredung aufgezeichnet. Ein Geständnis war ein Geständnis, selbst wenn es aus dem Mund eines betrunkenen Gefangenen kam.
    „Nun, Titus?“, drängte Sikiokuu, als er Tajirika den nächsten Brandy reichte.
    „Bitte sagen Sie mir eins, Mr. Minister. Als Ihre Männer damals meine Frau verhafteten, wussten Sie da schon, dass sie mit diesen traditionellen Frauen gemeinsame Sache machte, oder haben Sie das erst herausbekommen, nachdem Sie sie in der Mangel hatten?“
    „Sie wollen von mir die Wahrheit erfahren?“
    „Nach allem, was ich heute gesehen und gehört habe, kann mich nichts mehr überraschen.“
    „Tatsächlich hatten wir sie schon seit Langem in Verdacht. Aber, Titus, warum fragen Sie nach ihr?“
    „Ist das nicht klar? Wenn meine Frau, die Mutter meiner Kinder, die Person, mit der ich das Bett teile, mich derart betrügen konnte und ich die Lügen nicht durchschaute, wer könnte mir dann noch so etwas angetan haben, ohne dass ich es bemerkte? Mr. Sikiokuu, ich bin mir über nichts mehr sicher“, sagte Tajirika verzweifelt.
    Sikiokuu erkannte die Lücke in Tajirikas Verteidigung, nach der er so lange gesucht hatte.
    „Das ist genau das, was ich Ihnen die ganze Zeit zu sagen versucht habe. Jemand wie Sie sollte niemandem trauen. Irgend so ein Franzose, ich glaube, er hieß Descartes, sagt: Zweifle an dir! Zweifle an deinen engsten Freunden. Zweifle an allem. Ich zweifle, also bin ich. Das nennt man cartesianische Logik.“
    „Da haben Sie die reine Wahrheit gesagt“, stimmte Tajirika zu, der glaubte, Descartes sei die zeitgenössische französische Version des Thomas aus der Bibel, von dem seine Frau immer erzählte.
    „Welche meiner Wahrheiten meinen Sie?“, fragte Sikiokuu.
    „Dass man niemandem trauen kann.“
    „Das ist die richtige Denkweise.“
    „Bisher hatte ich keinen Grund, meine Frau einer Verschwörung zu verdächtigen.“
    „Sie meinen, es kam Ihnen niemals in den Sinn, dass man ihr aufgetragen haben könnte, Ihnen nachts böse Gedanken ins Ohr zu flüstern?“
    Tajirika fühlte sich immer elender. War es so? War er das Opfer von Gedanken, die ihm seine Frau nachts ins Unterbewusstsein eingetrichtert hatte?
    „Ich frage mich, wem es nützen könnte, einem Schlafenden in der Nacht böse Gedanken einzuflüstern?“, meinte er matt.
    „Ihrem Kumpel. Dem Mann, den Sie als Ihren Freund bezeichnen. Manche Leute haben seltsame Vorstellungen von Freundschaft.“
    „Wer? Meinen Sie etwa …“
    „Irgendjemand“, antwortete Sikiokuu rasch und vermied es, Machokali zu erwähnen, weil er hoffte, dass Tajirika den Namen selbst aussprechen würde.
    „Und was sollte mir meine Frau in deren Auftrag einflüstern?“
    „Etwas über Macht. Die Macht zu ergreifen.“
    „Ja, aber warum durch Vinjinias Flüstern? Und vor allem nachts, wenn ich schlafe?“
    „Sie könnten versucht haben, Sie weichzuklopfen, um Sie später zum Komplizen ihres Verrats zu machen“, meinte Sikiokuu wenig überzeugend.
    Obwohl Tajirika wütend auf seine Frau war, weil sie sein Verschwinden nicht rechtzeitig publik gemacht und sich außerdem noch mit eigenartigen Weibern hatte fotografieren lassen, konnte er sich immer noch nicht vorstellen, dass Vinjinia mit irgendjemandem über Politik redete. Eine innere Stimme, ein Instinkt des Selbstschutzes, veranlasste ihn, der Richtung gegenüber argwöhnisch zu bleiben, in die Sikiokuu ihn zu drängen versuchte.
    „Ich will es Ihnen noch einmal sagen“, fügte Tajirika schnell hinzu, als träte er vom Rand einer Klippe zurück, „ich habe nie etwas, von niemandem und zu keiner Zeit, über einen Sturz der Regierung gehört.“
    „Warum vertrauen Sie

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