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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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vergangenen Verhören durch Peter Kahiga davon gesprochen hatte, er würde unter einem schützenden Zauber stehen. Er hatte dies als weiteren Beleg für Tajirikas Dummheit abgetan. Jetzt aber erschien ihm der „schützende Zauber“ wie einem Verdurstenden das kühle Wasser. Er empfand fast so etwas wie Dankbarkeit. Warum war er nicht eher darauf gekommen? Sollte er sich nicht um einen kleinen schützenden Zauber für sich und sein Eigentum bemühen, um Jane Kanyoris Hilfe zu verstärken?
    Und so kam er auf den Herrn der Krähen. Kaniũrũ glaubte nicht sonderlich an Magie, dafür aber an Vorsichtsmaßnahmen. Sie waren kein Ausdruck von Feigheit, sie mussten sein, und deshalb machte er sich auf den Weg zum Schrein des Zauberers.

3
    „Mein Leben liegt also in meinen Händen?“, fragte Tajirika trotzig. „Hab ich mich etwa selbst verhaftet, mir Handschellen angelegt und mich in diesen Kerker verfrachtet?“
    Sikiokuus privater Empfangsbereich war ein großzügiger Wohnraum mit Sitzbänken und Plastikblumen auf einem Teetisch. Schwere Vorhänge und eine Hausbar vervollständigten die Einrichtung.
    So, wie der Minister herumging, saß und gestikulierte, während er seine Ohrläppchen streichelte oder mit den winzigen Augen rollte, strahlte er grenzenloses Selbstvertrauen aus. Für einen Moment fürchtete Tajirika, mit der Regierung würde etwas nicht stimmen. Hatte es etwa einen Staatsstreich gegeben? War Sikiokuu jetzt an der Macht?
    Sikiokuu antwortete nicht sofort, sondern schenkte seinem Gast zunächst einen kleinen Brandy ein, reichte ihm eine Zigarette und ein Feuerzeug. Tajirika griff nach allem, was ihm angeboten wurde, als fürchtete er, Sikiokuu könnte seine Meinung ändern. Er hatte lange keine Zigarette und keinen Drink mehr gehabt.
    „Sie haben völlig recht. Sie stehen nicht unter Selbstarrest“, meinte Sikiokuu. „Es gibt aber einen Grund, weshalb Sie hier sind. Ich bin überzeugt, dass der Geheimdienst eine Person mit Ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht ohne plausiblen Grund verhaften würde. Wie heißt es bei den Waswahili? Dunkle Wolken verkünden den Regen, oder noch zutreffender: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer.“
    „Und wo ist der Rauch, der sie zu mir geführt hat?“
    „Nyawĩra.“
    „Hat man sie gefasst?“
    „Staatsgeheimnis“, meinte Sikiokuu unbestimmt.
    „Hören Sie mich an, Mr. Sikiokuu. Wenn man sie verhaftet hat, bin ich froh darüber. Dann kann ich ihr entgegentreten und alles widerlegen, was sie gegen mich vorbringen mag. Sie haben auch Angestellte, nicht wahr? Können Sie ehrlich behaupten zu wissen, mit wem und wo sie jede Nacht schlafen? Oder was in ihren Köpfen vor sich geht?“
    „Mr. Tajirika, der M5 besitzt relative Autonomie; er herrscht über uns. Er sammelt Informationen über uns alle, bei der Arbeit oder in der Freizeit. Er verschafft uns Informationen, aber wir wissen nie, wie viel er für sich behält. Offenbar müssen wir unsere Entscheidungen auf der Grundlage dieser Informationen treffen. Ich persönlich glaube Ihnen, Mr. Tajirika. Und als Ihr Freund will ich Ihnen gestehen: Ihre ehemalige Sekretärin Nyawĩra ist noch nicht gefasst worden. Aber Sie können sicher sein, früher oder später haben wir sie. Sie kann dem Staat nicht entkommen. Die gute Nachricht ist also, dass sie nicht gegen Sie ausgesagt hat. Trotzdem stecken Sie in ziemlichen Schwierigkeiten.“
    „Warum? Was habe ich Unrechtes getan?“
    „Schlechte Gesellschaft. Schlechtes Urteilsvermögen bei der Wahl Ihrer Angestellten und Ihrer Freunde in der Regierung. Und was noch schwerer wiegt, die Unfähigkeit zu kontrollieren, mit wem sich Ihre Frau abgibt.“
    „Mr. Minister, erklären Sie mir das, bitte. Hören Sie auf, in Rätseln und Sprichwörtern zu reden. Was meinen Sie damit, mit wem sich meine Frau abgibt? Ich kann Ihnen versichern, dass Vinjinia eine treue Hausfrau ist. Ihr Tagesablauf ist sehr schlicht. Sie arbeitet auf dem Feld, geht auf den Markt und ins Büro, wenn ich nicht da bin, und am Sonntag in die Kirche.“
    „Glauben Sie das wirklich? Es heißt, der Ehemann erfährt immer alles als Letzter.“
    „Was wollen Sie damit sagen, Mr. Minister?“, fragte Tajirika und sprang fast aus dem Sessel.
    „Setzen Sie sich, Titus. Hier geht es nicht darum, ob sie sich mit anderen Männern trifft. Wenn es nur das wäre, dann hätte ich es nicht einmal erwähnt. Die verheirateten Frauen in Aburĩria sind heutzutage leicht flachzulegen, aber um ganz ehrlich zu sein, ich habe nie

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