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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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diesen Leuten so sehr? Warum sind Sie sicher, dass ein Bekannter, ein enger Freund, ja sogar ein hochrangiges Mitglied der Regierung, Ihre Frau nicht für seine üblen Pläne eingespannt hat?“
    „Ganz ehrlich, Mr. Sikiokuu: Ich glaube nicht, dass Vinjinia zu politischen Verschwörungen fähig ist.“
    „Sie verteidigen Sie also wieder? Wohin sind Ihre Zweifel verschwunden? Haben Sie die Fotos so schnell vergessen?“
    „Silver Minister, diese Fotos schmerzen mich; und ich bitte Sie noch einmal, lassen Sie mich auf der Stelle nach Hause gehen und diese verräterische Frau zur Rede stellen. Eine Nacht reicht vollkommen, ihr die faulige Wahrheit zu entreißen.“
    Sikiokuu war beunruhigt und ärgerte sich, dass Tajirikas Gedanken diese Richtung nahmen und nicht zu Machokali führten, sondern zum möglichen Verrat seiner Frau an ihm, dem Ehemann.
    „Fangen wir noch mal von vorne an. Von Ihnen selbst einmal abgesehen, haben Sie jemals gehört oder gesehen, dass eine andere Person sich wünschte, weiß zu sein? Lassen Sie sich Zeit. Tajirika, das Problem mit Ihnen ist, dass Sie loyal sind bis zur Unschuld. Lassen Sie niemanden aus, nur weil er Ihr Freund ist. Descartes sagt, zweifle an allem und jedem …“
    „Selbst dem Herrscher?“, fragte Tajirika ehrlich verwirrt. „Sagt er etwa, wir zweifeln am Herrscher und seiner Regierung?“
    „Das habe ich nicht gesagt“, antwortete Sikiokuu scharf.
    „Ist dieser Descartes Ihr Freund oder Berater?“
    „Mr. Tajirika!“, meinte Sikiokuu kalt. Er konnte seine Wut und seinen Frust kaum noch verbergen. „Ich habe wirklich keine Zeit zu verschwenden. Sie aber benötigen offensichtlich mehr Zeit, um über die wahre Bedeutung Ihrer Worte ‚wenn‘ und ‚weiß‘ und ‚wünsche‘ nachzudenken.“
    Sikiokuu erhob sich.
    „Bitte gehen Sie nicht“, flehte Titus Tajirika. „Lassen Sie mich nicht in der Gefangenschaft zurück.“
    „Gefangenschaft in meinem Büro?“, sagte Sikiokuu verächtlich. „Tajirika, Sie scheinen eine sehr hohe Meinung von sich zu haben. Haben Sie ernsthaft geglaubt, ich ließe Sie allein in diesem Büro? Damit Sie Ihre Phantasien pflegen können, eines Tages selbst Minister zu werden? Sir Titus Tajirika, Sie werden niemals mehr als ein plumper Schmiergeldsammler sein. Die Waswahili sagen, wenn ein Muslim Schweinefleisch essen muss, dann sollte er sich wenigstens das saftigste Stück heraussuchen. Das meinen auch die Engländer. Besser, wegen eines Schafes gehängt zu werden als wegen eines Schäfchens. Wenn Sie sich schon schmieren lassen müssen, dann haben Sie wenigstens so viel Phantasie, mehr als nur ein paar symbolische Münzen einzustecken. Ansonsten halten Sie sich lieber die Nase sauber, wie Ihr Stellvertreter John Kaniũrũ, der jetzt, während Ihrer Abwesenheit, sowohl Stellvertreter als auch amtierender Vorsitzender von Marching to Heaven ist. Und sollte er in dieser Stellung bestätigt werden, dann liegt das einzig und allein an Ihrer undankbaren Weigerung zur Zusammenarbeit.“
    Sikiokuu drückte auf einen Knopf. Sekunden später hatte man Tajirika die Augen verbunden und aus dem Büro geführt. Verzweifelt schrie er: „Was wollen Sie und Ihr Descartes von mir?“

4
    Sikiokuu lehnte sich in seinem Stuhl zurück und zupfte eine Weile an den Ohrläppchen. Dann nahm er die Fotos von Vinjinia und sah sich jedes einzeln an, ohne auf Details zu achten. Die Fotos waren allein seine Idee gewesen und hatten den Mann fast gebrochen. Alles war gut gelaufen, bis er den Franzosen erwähnte. Warum habe ich nur diesen Descartes angesprochen? Was, wenn dieser Idiot von Unternehmer eines Tages behauptet, ich hätte ihn gedrängt, die Existenz des Herrschers und seiner Regierung anzuzweifeln?
    Am meisten ärgerte ihn, dass er selbst nur sehr wenig über Descartes und dessen Philosophie des Zweifels wusste. Er hatte diese Wendung erstmals auf einer Cocktailparty im Eldares French Cultural Center gehört, und sie klang sehr gelehrt und ging leicht von der Zunge. Wer wenig weiß, ist in Gefahr, hieß es immer. Von sich angewidert, warf Sikiokuu die Bilder auf den Boden. Was soll ich tun, um die Situation unter Kontrolle zu halten?
    Als er am nächsten Tag eine weitere E-Mail von Informationsminister Big Ben Mambo erhielt, der ihn von Amerika aus anwies, alle Vorbereitungen zum größten Flughafenempfang für den Herrscher zu treffen, machte das die Dinge nicht besser.
    Sikiokuu war nicht sicher, wovor er mehr Angst hatte: vor der Rückkehr des

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