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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Aber einen Moment noch!“, sagte er und sah wieder in den Spiegel. „Hier steht noch etwas geschrieben. Es hat damit zu tun, dass du gefangen gehalten wirst. Ich sehe ein Herz, das eingesperrt ist. Hält jemand dein Herz gefangen?“
    „Was meint der Spiegel damit?“
    Einen Augenblick lang glaubte Kaniũrũ, der Herr der Krähen würde auf Jane Kanyori anspielen. Bei diesem Gedanken war ihm zum Lachen zumute, weil er sie nur zur Geldwäsche und als Sexobjekt benutzte.
    „Sie meinen die Frau in der Bank?“, fragte Kaniũrũ, als wüsste der Herr der Krähen bereits über sie Bescheid. „Jane Kanyori wird nie mein Herz erobern. Sie ist nicht übel, aber sie ist nicht mein Typ und hat nicht meine Klasse“, fügte er hinzu. Er hatte völlig vergessen, als einfacher Arbeiter hier aufgetaucht zu sein.
    „Warum? Hat bereits eine andere, die dein Typ ist und deine Klasse hat, dein Herz gefangen genommen?“
    „Ja“, sagte Kaniũrũ schnell und wunderte sich, wie der Herr der Krähen sowohl von Jane Kanyori als auch von Nyawĩra wissen konnte. Es war sinnlos zu leugnen, was der Zauberer ohnehin schon wusste. „Es gibt eine, die schon vor langer Zeit mein Herz erobert hat. Sie ist etwas Besonderes, Mr. Herr der Krähen.“
    „Und wo ist sie jetzt?“, fragte der Herr der Krähen.
    „Das weiß ich nicht. Ich wünschte, ich wüsste es.“
    „Suchst du sie?“
    „Tag und Nacht. Aber deshalb bin ich nicht hier.“
    „Die Bilder im Spiegel sind weg. Es ist nur noch Dunkelheit zu sehen“, sprach der Herr der Krähen, der jetzt wieder Kaniũrũ anschaute. „Also, sag mir, welch schlechter Wind hat dich zu meinem Schrein geweht?“
    „Kein schlechter Wind, ganz und gar nicht“, antwortete Kaniũrũ. „Vielmehr eine gesunde Brise von Wohlstand.“
    „Land? Kühe und Ziegen?“
    „Nein. Mehr als Land, Ziegen und Kühe. Geld.“
    „Neureich also? Neues Geld, das dir plötzlich zugefallen ist?“
    „Ja“, sagte Kaniũrũ. „Aber Sie wissen ja, wie unsere Leute so sind. Getrieben vom Neid.“
    „Und du fürchtest, dass sie deinen neuen Wohlstand mit einem Fluch belegen könnten? Dass sie deinen Reichtum ebenso schnell verschwinden lassen könnten, wie er gekommen ist?“
    „Sie haben meine Gedanken erkannt, Herr der Krähen. Deshalb wünsche ich mir einen Zaubertrank, einen Bann, irgendetwas, das meinen Reichtum für immer schützt, damit ich wieder friedlich schlafen kann.“
    „Weiß dein Chef von deinem neuen Reichtum?“
    „Nein.“
    „Sonst jemand?“
    „Herr der Krähen, ein Sprichwort sagt, wer allein isst, stirbt allein. Aber es gibt Delikatessen, die sollte man allein verzehren, auch auf die Gefahr hin, allein zu sterben.“
    „Du bist noch so jung und schon so gewandt im Umgang mit Sprichwörtern.“
    „Graues Haar ist nicht unbedingt ein Zeichen großer Weisheit“, meinte Kaniũrũ und freute sich über das Kompliment.
    Die Schmeichelei ließ ihn glauben, der Herr der Krähen wäre ein echter Wahrsager, ein richtiger Seher nützlicher Wahrheiten, und er fing an, ihn zu mögen.
    „In diesem Schrein sollen Kranke behandelt werden – weißt du das?“, sprach der Herr der Krähen. „Wir verhexen das Böse. Deshalb frage ich dich, hat dein Besitz dich bereits krank gemacht?“
    „Oh, nein, nein, ich bin kein bisschen krank. Ich meine, es ist keine wirkliche Krankheit.“
    „Ich kann nur richtige Krankheiten aus den tiefsten Höhlen des Körpers oder der Seele vertreiben. Darum kann ich dir nicht helfen.“
    „Bitte helfen Sie mir“, flehte Kaniũrũ ihn an. „Ich zahle, was immer Sie für Ihre Dienste fordern.“
    „Was quält dich denn? Dein Herz, deine Seele oder beides?“
    Kaniũrũ erkannte schnell, dass er eine Krankheit erfinden musste. Doch was für eine? Das Video fiel ihm ein und Tajirikas Bericht über die Krankheit, bei der ihm die Worte im Hals stecken geblieben waren. Nun ja, niemand hat ein Monopol auf eine bestimmte Krankheit. Und wenn er Tajirikas Stuhl als Vorsitzender von Marching to Heaven übernehmen konnte, warum nicht auch dessen Krankheit? Kaniũrũ senkte den Kopf, als würden ihn schwerwiegende Dinge bedrücken. Nach einer Weile hob er den Blick und räusperte sich.
    „Um die Wahrheit zu sagen, es fällt mir schwer, über meine Erkrankung zu reden. Die Situation ist Folgende: Manchmal, wenn ich zu sehr über meinen neuen Wohlstand nachdenke, bleiben mir die Worte in der Kehle stecken, Herr der Krähen, und wenn ich versuche, sie herauszuzwingen, kann ich nur

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