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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Boden liegend flehte er, von oben bis unten beschmiert: „Erschießen Sie mich nicht. Ich bitte Sie, erschießen Sie mich nicht. Ich habe gelogen. Ich bin nicht mit dem tödlichen Virus infiziert.“
    Die beiden Polizisten waren durch sein Geständnis so erleichtert, dass sie ihm dankbar aufhalfen, ihm die Handschellen abnahmen und den Kübel fortbrachten.
    Während er wartete, bis sie wieder auftauchten, hatte Tajirika das Gefühl, als hätte sich eine Wolke verzogen, die seinen Kopf vernebelt hatte, als wäre er plötzlich aus dem Delirium eines hohen Fiebers erwacht. Er kam sich etwas töricht vor und war unsicher, wie er sich weiter verhalten sollte. Was sollte er tun? Sich mit dem verschmutzten Hemd das Gesicht abwischen? Kahiga und Njoya kamen, gefolgt von den beiden anderen Polizisten, zurück und fluchten leise vor sich hin: „Los, wir schleifen ihn wieder in die Folterkammer und erteilen ihm eine Lektion.“ Sikiokuu, der aus dem Hinterzimmer auftauchte, hörte, was Kahiga und Njoya sagten, und befahl ihnen, mit diesem Unsinn aufzuhören. Anschließend wies er die beiden Polizisten an, Wasser und Seife zu holen und die Schweinerei unter Aufsicht von Njoya und Kahiga zu beseitigen.
    „Wenn ihr fertig seid, geht zurück ins Vorzimmer und wartet weitere Befehle ab. Und Sie“, wandte er sich an Tajirika, „kommen mit.“
    Gerade als er ins Hinterzimmer treten wollte, fiel Sikiokuu das Porträt des Herrschers wieder ein. Er eilte zum Tisch und packte es.
    „Im Bad da drüben gibt es ein Waschbecken“, wandte er sich wieder an Tajirika und zeigte auf eine Tür. „Gehen Sie rein und machen Sie sich ein bisschen sauber. Ich fürchte, ich kann nicht mit Wechselkleidung dienen.“
    Auch Sikiokuu hatte sich nicht umgezogen. Er hatte versucht, die Schweinerei von seinem Hemd zu wischen, aber die Flecken waren immer noch zu sehen. Jetzt widmete er sich dem Porträt des Herrschers, versuchte es vom Schmutz zu reinigen, doch jedes Mal, wenn er dachte, er hätte es geschafft, tauchte – wie aus dem Innern des Bildnisses – ein neuer Fleck auf. Schließlich gab er auf und deckte ein Handtuch darüber. Tajirika kam zurück, als er sich gerade bemühte, die Luft im Zimmer mit Parfum zu verbessern, doch egal wie viel er auch versprühte, der Gestank im Büro des Herrschers war nicht zu überdecken.
    „Es ist hoffnungslos“, sagte Sikiokuu, stellte das Parfumfläschchen auf den Tisch und ließ sich in den Stuhl sinken. Dann zeigte er auf einen anderen Stuhl für Tajirika. So saßen sie einander erneut im Büro gegenüber, doch dieses Mal befand sich nur ein Teetisch zwischen ihnen.
    „Mr. Tajirika, was Sie heute getan haben, kommt einer Geiselnahme gleich, und das ist nach nationalem und internationalem Recht ein Verbrechen. Und ich muss Ihnen eins sagen: Wenn Sie nicht in Handschellen gewesen wären, hätten die sie erschossen. Ich will Ihnen einen gut gemeinten Rat geben: Spielen Sie nie wieder mit dem Feuer! Und ich hoffe bei Gott, dass die Gründe, die Sie dazu trieben, die Armee mit vorgehaltener Scheiße zu bedrohen, ausreichen, dem Zorn des Staates standzuhalten. Also erzählen Sie mir alles, was Sie mir sagen wollten. Aber ich will Sie warnen: Ich werde keinerlei Dummheiten mehr hinnehmen. Keine Spielchen mehr! Was ist zwischen Ihnen und dem Herrn der Krähen abgelaufen? Oder soll ich ihn holen lassen, damit er mir seine Version vorträgt und Sie beide in meiner neutralen Gegenwart Ihre Meinungsverschiedenheiten austragen können?“

18
    Als Sikiokuu den Herrn der Krähen und die Möglichkeit erwähnte, ihn ins Büro holen zu lassen, kam in Tajirika der Schrecken wieder hoch, der ihn zu der Forderung veranlasst hatte, zu Sikiokuu gebracht zu werden. Würde er dem Zauberer niemals entkommen? Waren ihrer beider Schicksale miteinander verknüpft? Vielleicht hatte ihn der Herr der Krähen bereits mit einem mächtigen Zaubergespinst aus Indien verhext, aus dem es kein Entrinnen gab? Wieder stellte sich Tajirika den Tod in der menschlichen Gestalt des Herrn der Krähen vor, der unaufhaltsam wie ein Uhrwerk auf ihn zukam. Der Tod konnte überall lauern, sogar hier draußen. Tajirika durchlebte noch einmal die in ihm aufsteigende Hilflosigkeit, die ihn angetrieben hatte, Sikiokuus Schutz zu suchen. Er sprang auf, ging um den Tisch herum, kniete nieder und umklammerte mit einer unterwürfigen Umarmung die Beine eines erstaunten Sikiokuu.
    „Bitte, ich flehe Sie an. Bitten Sie den Herrn der Krähen, mich von dem

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