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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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ernst meint und wann nicht. Sie weiß, dass Wörter eine Oberfläche und eine tiefere Bedeutung haben. Die Angewohnheit, Bestechungsgelder zu nehmen, hat sie die Sprache der Parabeln gelehrt. Wenn ein Polizist bestochen werden will, dann sagt er nicht ‚Gib mir Geld!‘, sondern ‚Es ist sehr kalt heute‘, selbst wenn es brütend heiß ist. Und von Ihnen wird erwartet zu sagen: ‚Warum nehmen Sie nicht diesen Burĩ-Schein und trinken einen Tee?‘ Also, obwohl Sie es nicht direkt gesagt hatten, wussten die Polizisten, dass Ihr Nein eine Art Ja zum Ausdruck brachte. Sehen Sie, sie haben bemerkt, dass Sie wussten, was auch sie wissen: Sogar Wände können Ohren haben. Sie sind ein sehr vorsichtiger Mensch, Mr. Hexenmeister, ein weiser Mann. Die Eile ist die Mutter des Scheiterns. Und auch, wenn Vorsicht eine Tugend ist, kann zu viel Vorsicht zur Gefahr werden. Glauben Sie mir, mein Freund, was immer Sie mir sagen werden, es wird diesen Raum nicht verlassen. Niemand wird erfahren, dass Sie oder ein anderer Hexenmeister uns geholfen haben, Nyawĩra zu fassen.“
    „Mr. Minister“, fuhr der Herr der Krähen auf. „Noch einmal von vorn: Meine Kräfte dienen dem Schutz der Gesetze, die Leib und Seele bestimmen, und die Ihren schützen die Gesetze, die die Gesellschaft regieren. Ich spüre nicht denen nach, die die Gesetze der Gesellschaft brechen, sondern denen, die die Gesetze des Lebens zerstören. Ich bekämpfe Krankheiten; Sie bekämpfen Verbrecher.“
    Sikiokuu spürte, wie ihn die Hoffnung verließ und Zorn in ihm aufstieg. Er beherrschte sich nur mit Mühe, diesem dreisten Kerl keine Beleidigungen an den Kopf zu schleudern.
    „Mr. Herr der Krähen, Sie mögen der größte Hexenmeister der Welt sein, aber Sie stehen nicht über dem Gesetz. Und das Gesetz besagt, jeder Bürger, ob er Hexenmeister oder Priester oder sonst was ist, dem Staat helfen muss, Kriminelle zu ergreifen. Wenn jemand einen anderen beobachtet, wie er ein Verbrechen begeht und diese Person nicht den Behörden anzeigt, dann begeht er ebenfalls ein Verbrechen.“
    „Ich sage Ihnen die Wahrheit. Ich habe nicht die Macht, die Sie mir zuschreiben“, erwiderte der Herr der Krähen, doch seine Stimme klang herausfordernd.
    Sikiokuu stand abrupt auf, ging im Zimmer herum und zog und zwickte sich nervös an den Ohren, als könnte er nicht glauben, dass er, ein hochrangiger Minister in der Regierung des Herrschers und im Augenblick mit der Gewalt über das ganze Land ausgestattet, nachts in seinem Büro saß und mit einem Hexer über den Einsatz von Zauberei diskutierte. Er beruhigte sich langsam und setzte sich wieder; weiterhin entschlossen zu erreichen, was er sich vorgenommen hatte.
    „Okay, einigen wir uns darauf, dass es tatsächlich ein Missverständnis gab. Was soll’s. Vergessen wir das Gewesene. Was geschehen ist, ist geschehen. Es bringt nichts, wegen einiger Tropfen verschütteter Milch Tränen zu vergießen. Sagt man nicht so? Ich muss Ihnen eine oder zwei Fragen stellen, nur um die Situation zu klären. Sie weigern sich nicht, der Regierung zu helfen, oder?“
    „Nein.“
    „Okay, genauso wie ich dachte. Sie sind eine Macht, mit der man rechnen muss, aber Sie wissen auch mit der Macht zu rechnen. Schauen Sie jetzt in Ihren Spiegel und sagen Sie mir, was Sie sehen.“
    „Ich habe meinen Spiegel nicht mitgebracht“, sagte der Herr der Krähen.
    „Warum sind Sie wohl hergekommen, verflucht noch mal?“, donnerte Sikiokuu los und bemühte sich nicht mehr, seinen Verdruss zu verbergen. „Um meine Zeit zu verschwenden, oder was? Meine Anweisung, Ihren Spiegel mitzubringen, war laut und deutlich.“
    Der Herr der Krähen war kurz davor, den Minister daran zu erinnern, dass seine Anwesenheit hier erzwungen worden war, besann sich aber eines Besseren. Schließlich stand Nyawĩras Leben auf dem Spiel. Wenn der Minister seine Leute jeden zweiten Tag zum Schrein schickte, wäre Nyawĩra in ständiger Gefahr. Statt offenem Widerstand wählte er eine andere Taktik.
    „Das ist nicht ihre Schuld“, sagte er. „Sie haben mir befohlen, meinen Spiegel mitzunehmen, aber ich habe ihnen versichert, dass es jeder andere verfügbare Spiegel auch tun würde. In den meisten Fällen ist es sogar besser und effektiver, den Spiegel der Person zu verwenden, die befallen ist, weil dieser Spiegel über den zusätzlichen Vorteil verfügt, die Schatten seiner Besitzer bereits in sich aufgenommen zu haben.“
    „Das ist gut“, sagte Sikiokuu etwas

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