Herr der Krähen
besänftigt. „Mein Appartement hat viele Zimmer, und in jedem hängt ein Spiegel. Wenn wir lange arbeiten und zu müde sind, um nach Hause zu gehen, dann bleiben wir über Nacht hier. Unsere Appartements sind eigentlich Erweiterungen unserer Büros. Was mich daran erinnert, oh, bitte verzeihen Sie mir, dass ich so ein schlechter Gastgeber bin. Was darf ich Ihnen anbieten? Bier? Whisky? Wein? Was immer Sie wollen!“
„Vielen Dank, nein. Ich trinke keinen Alkohol. Alkohol ist nicht mein persönlicher Erlöser.“
Sikiokuu ging lachend in ein anderes Zimmer. Sogar als er mit einem Spiegel zurückkam, lachte er noch.
„Alkohol ist nicht Ihr persönlicher Erlöser?“, fragte Sikiokuu nach und reichte ihm den Spiegel. Dann wurde er angesichts der vor ihm liegenden Herausforderung todernst. „Ich möchte, dass Sie in diesen Spiegel sehen. Durchsuchen Sie alles, bis Sie diese Nyawĩra entdecken. Wenn Sie sie finden, werde ich dafür sorgen, dass Sie bekommen, was immer Sie wollen: Geld, Anteile an einem Unternehmen, einen Bauernhof in einem Gebiet, das früher nur Weißen vorbehalten war, ein Grundstück in Eldares oder zwei – Sie haben die Wahl. Okay? Und denken Sie daran, sollte ich jemals in ein höheres Amt aufsteigen, werde ich Sie zum Oberhexenmeister der Regierung ernennen. Verlassen Sie sich darauf. Ich werde Ihnen die gute Tat von heute tausendfach vergelten.“
Er redete, als kämen die Worte aus seinem Mund, bevor er sie gedacht hatte, obwohl es im Augenblick fast so schien, als hätten die Gedanken genug davon, den Worten zu folgen, und verbissen sich nun in einen einzigen Wunsch: den Weg zu Nyawĩras Versteck zu erfahren. Es war eigenartig, dass die Stimme eines Menschen eine solche Mischung aus Gebet, Bestechung, Drohung, Furcht und Verlangen in sich tragen konnte.
Dem Zauberer war klar, dass Sikiokuu verzweifelt und deshalb zu allem fähig war, weshalb er beschloss, ihn nicht gegen sich aufzubringen. Er musste alles tun, um Sikiokuu und seine Gefolgsleute von jeglichem Gedanken abzubringen, der sie wieder zum Schrein führen könnte.
„Geben Sie mir den Spiegel“, sprach er. „Aber ich muss Sie warnen: Ich habe so etwas noch nie gemacht. Erschrecken Sie also nicht vor etwas Unerwartetem.“
„Probieren Sie es einfach aus und schauen Sie, was Sie im Spiegel sehen. Es wieder und wieder zu versuchen, ist der Schlüssel zum Erfolg.“
Selbst mit dem Spiegel in der Hand war dem Herrn der Krähen noch nicht klar, wie er seinen Auftritt im Einzelnen gestalten sollte. Er wusste nur, dass er Nyawĩra schützen musste. Er stand auf und begann, tief in Gedanken versunken, durch das Zimmer zu gehen. Sikiokuu blieb sitzen, aber seine Augen folgten jeder Bewegung des Zauberers. Nun setzte sich der Zauberer wieder und räusperte sich.
„Ich möchte, dass Sie alle Lichter ausmachen, bis auf eines für den Spiegel“, sprach der Herr der Krähen. Er hatte noch nicht ausgesprochen, da war Sikiokuu schon aufgesprungen und begann, die Lampen zu löschen, außer einer, die den Tisch nun in ein gespenstisches Licht tauchte.
„Setzen Sie sich mir gegenüber auf die andere Seite des Tisches“, sprach der Herr der Krähen.
Er hielt den Spiegel dicht über den Tisch.
„Hören Sie aufmerksam zu. Jetzt bin ich an der Reihe, ein paar Fragen zu stellen.“
„Fragen Sie, was Sie wollen. Es ist noch niemals jemand verurteilt worden, weil er Fragen gestellt hat.“
Sikiokuu sah, dass der Spiegel in der Hand des Herrn der Krähen zu zittern begann.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte er.
„Sehen Sie es nicht?“
„Was?“
„Ich weiß es nicht genau. Aber wir werden es herausfinden. Was haben Sie geantwortet, als ich Ihnen sagte, ich würde Ihnen einige Fragen stellen?“
„Ich sagte, dass niemand jemals dafür verurteilt wird, weil er Fragen stellt.“
Der Spiegel zitterte heftig, auch als der Herr der Krähen mit beiden Händen versuchte, ihn auf den Tisch zu legen.
„Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, niemand wird jemals dafür verurteilt, weil er Fragen stellt?“
„Selbst ein Kind wüsste, wovon ich rede“, antwortete Sikiokuu, der dem Zauberer übel nahm, seine Intelligenz anscheinend nicht besonders hoch einzuschätzen.
„Der Spiegel ist kein kleines Kind. Und er will es wissen.“
„Okay, in Ordnung. Ich meine damit, dass niemals jemand vor einem ordentlichen Gericht angeklagt wird, weil er Fragen stellt. Man steckt niemanden ins Gefängnis, nur weil er Fragen stellt.“
Der Spiegel
Weitere Kostenlose Bücher