Herr der Krähen
schlafen. Was konnte er anziehen? Als seine Hypertrophie weiter fortschritt, rissen die Nähte seiner Kleider; der Herrscher schien in Lumpen gekleidet zu sein. Sie deckten ihn mit Bettlaken zu. Doch was konnte man gegen die unverminderte Aufblähung unternehmen? Wie sollte man sie aufhalten oder verlangsamen?
Dr. Wilfred Kaboca hatte alles in seiner Kenntnis und Erfahrung Stehende getan, um den Fortgang aufzuhalten, aber jetzt war er mit seiner Weisheit am Ende.
Immer wieder diskutierten sie, ob sie ihn ins Krankenhaus bringen sollten. Wie wollte man dann jedoch verhindern, dass sich die Nachricht verbreitete? Sie erlaubten Dr. Kaboca, einen Spezialisten hinzuzuziehen, der bereit war, ausschließlich in der Suite des Herrschers zu praktizieren. Dr. Wilfred Kaboca kontaktierte Dr. Clement C. Clarkwell, einen New Yorker Spezialisten für Fettleibigkeit und derlei Dinge. Doch als Clarkwell beobachtete, wie sich der Körper vor seinen Augen sichtlich ausdehnte, rief er Professor Din Furyk zu Hilfe.
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„Ich erfuhr von der Krankheit“, schreibt Din Furyk von der Harvard Medical School in seinem Tagebuch, „weil Dr. Clarkwell einer meiner ehemaligen Studenten ist und stets meinen Rat suchte, wenn er sich schwierigen Fällen gegenübersah. Seine Beschreibung dieses speziellen Falles erregte meine Neugier so sehr, dass ich alles stehen ließ und nach New York fuhr. Man schleuste mich durch die Absperrungen direkt in die Suite des Herrschers, die drei obersten Etagen des Fifth Avenue VIP Hotel, wo ich sofort Dr. Clarkwell und Dr. Kaboca konsultierte. Wie schlimm es stand, war daran zu sehen, wie ratlos beide die Köpfe schüttelten und sagten, der Herrscher sei den ersten Untersuchungen zufolge, abgesehen von seinem Anschwellen, kerngesund. Ich betrat das Zimmer des Patienten. Weitere Fragen wollte ich erst stellen, nachdem ich ihn untersucht hatte.
Er saß auf dem Fußboden, den Rücken an die Wand gelehnt. Ich fühlte seine Stirn, maß Fieber und hörte sein Herz ab. Alles war normal, obwohl er vor Erschöpfung ein wenig zu keuchen schien. Aber seine Augen, diese Augen – ich habe nie bei einem Erwachsenen einen solchen Blick gesehen. Verängstigt und hilflos wie Kinderaugen, in denen die Angst vor dem Unerwarteten und Unbekannten sitzt.
Der Herrscher, wie ihn sein Gefolge ausnahmslos nannte, schien seine Fähigkeit zu sprechen verloren zu haben. Zum Glück konnte er noch lesen, was man ihm vorlegte. Dann nickte er für ein Ja oder schüttelte den Kopf für ein Nein. Aber selbst dieses angedeutete Ja oder Nein kam nur selten und eher abrupt.“
Din Furyk berichtet, wie er verlangt hatte, Blutproben nehmen zu können, um herauszufinden, ob der Patient Symptome einer Schilddrüsenüberfunktion aufwies oder ob er unter einem nephrotischen Syndrom, einer Zystenniere oder einer Form von Morbus Cushing litt, das durch einen überhöhten Cortisolspiegel im Blut ausgelöst wird, oder an irgendeiner anderen Krankheit, die nach Kenntnis der Wissenschaft mit Fettleibigkeit verbunden war. Trotz Dr. Wilfred Kabocas Versicherung, der Herrscher habe niemals Steroide eingenommen und Viagra sei die einzige Droge, für die er einen unersättlichen Appetit entwickelt habe, dachte er auch an die Möglichkeit einer von Steroiden hervorgerufenen Fettleibigkeit.
Anschließend beschreibt Furyk seine Versuche, sich in Gesprächen mit Ministern und Sicherheitsleuten ein Bild von der medizinischen Vorgeschichte des Herrschers zu machen. „Keiner konnte ein bisschen Licht in die Angelegenheit bringen. Wenn ich ihnen eine Frage stellte, zum Beispiel ‚Wann ist die Krankheit ausgebrochen?‘, oder ‚Wann haben Sie die ersten Symptome der Krankheit bemerkt?‘, schauten sie zuerst zum Herrscher hinüber, sahen sich dann gegenseitig an und meinten, sie wüssten es nicht. Afrikaner, oder sollte ich sagen, Schwarze im Allgemeinen, sind seltsam.“
An dieser Stelle schweift der Professor ab und lässt sich über den Charakter des Afrikaners aus. Im Tagebuch finden sich viele Bemerkungen wie „Gesichter, in denen man nur schwer lesen kann“, „ein Gesicht wie eine Maske“ und „die Minister konnten mir nicht in die Augen sehen, die flackerten wie bei Schwindlern“. Auch der Leibarzt des Herrschers wird in Frage gestellt und als „nicht anders als die Minister“ beschrieben, weil er Informationen nur widerstrebend preisgab und auch nur dann, wenn er sich außer Hörweite der anderen befand.
Einzig Mr. Machokali, der Minister für
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