Herr der Krähen
vorgestellt hatte, als er vom Weiß-Wahn befallen gewesen war. Sie konnte bestimmt auch einen anderen Hexenmeister auftreiben. Frauen hatten einen sechsten Sinn.
„Ich brauche ein paar Hexenmeister und Zauberheiler“, erklärte er ihr ohne weitere Hinweise.
„Was?“, rief Vinjinia überrascht. Machte er Witze oder war er schwach im Kopf geworden?
„Ich möchte, dass du mir die mächtigsten Hexenmeister und Zauberheiler besorgst, die zu haben sind“, wiederholte Tajirika.
„Hexenmeister?“
„Einer würde schon reichen“, sagte Tajirika. „Aber mehrere wären besser als einer, weil ich dann den besten aussuchen könnte.“
„Wovon redest du eigentlich? Wozu brauchst du plötzlich Hexenmeister?“, fragte Vinjinia nach, als ihr klar wurde, dass er es ernst meinte. „Wen hast du vor zu verhexen?“
Er bat sie, sich zu setzen, und erzählte ihr von der Verhaftung des Herrn der Krähen und dessen Leiden. Doch habe der Herrscher ein paar Fragen, die nur er, der Herr der Krähen, beantworten könne. Und ihm sei, erklärte er, die Aufgabe zugefallen, einen Heiler zu besorgen, der den Heiler heilte.
„Um Himmels willen, was weiß ich von Hexenmeistern und wo man sie findet?“, fragte Vinjinia und tat das Thema ab.
„Du bist eine sehr einfallsreiche Frau, Vinjinia“, flehte Tajirika sie an. „Ich bin mir todsicher, dass du einen Hexenmeister besorgen kannst, wie du es schon einmal getan hast.“
Vinjinia wollte ihn daran erinnern, dass es Nyawĩra gewesen war, die sie zum Herrn der Krähen geführt hatte, unterließ es aber.
Als Frau eines Gouverneurs und erfolgreiche Geschäftsfrau wollte sie mit Nyawĩra, mit dem Herrn der Krähen oder dem zerstörten Schrein nichts zu tun haben.
In Wahrheit jedoch war Vinjinia verzweifelt gewesen, als sie von der Brandstiftung erfuhr, und weil sie nicht wusste, ob Nyawĩra im Schrein umgekommen war, machte das die Nachricht noch schlimmer. Vinjinia fühlte sich verantwortlich und schuldig und konnte mit niemandem darüber reden, ohne preisgeben zu müssen, dass sie die Identität eines der Gesichter des Herrn der Krähen kannte. Die Vorstellung der verkohlten Überreste Nyawĩras quälte sie, doch mit der Zeit lernte sie, diese zu unterdrücken.
Vinjinia ging durch den Kopf, wie oft Nyawĩra ihr zu Hilfe gekommen war, und war überrascht, jetzt das Gleiche zu empfinden wie in dem Augenblick, als sie hörte, der Schrein sei niedergebrannt worden. Wie konnte sie Tajirika mitteilen, dass Nyawĩra, die sie zum Herrn der Krähen gebracht hatte, die Einzige, die ihnen den Weg zeigen konnte, zu Asche verbrannt war? Wie konnte sie ihm beibringen, von Hexenmeistern und Hexen, Wahrsagern und Heilern selbst keine Ahnung zu haben? Weil sie ihm nicht das Herz schwer machen wollte, versuchte sie, diplomatisch zu sein.
„Gut, ich werde die Ohren offen halten“, sagte sie anteilnehmend.
„Bitte, versuch es – ich bin überzeugt, dass es unter deinen Kirchenleuten viele gibt, die nachts zu einem Hexenmeister gehen“, bettelte Tajirika. „Bete zu Gott, dass er dir den Weg weist.“
Vinjinia musste sehr an sich halten, um nicht loszulachen, als sie realisierte, dass Tajirika es ernst gemeint hatte: Sie sollte Gottes Führung suchen, um für ihn einen Hexenmeister zu finden. Als sie allein im Auto saß und zur All Saints Cathedral fuhr, lachte Vinjinia laut darüber, wie lächerlich ihr Mann sich benommen hatte. Immerhin war sie eine bürgerliche, christliche Frau. Sie war eine respektierte Kirchgängerin, die Ehefrau des Gouverneurs der Central Bank und Vorsitzenden von Marching to Heaven sowie gegenwärtig alleinige Geschäftsführerin der Tajirika Enterprises einschließlich der bekannten Eldares Modern Construction and Real Estate. Wie sollte sie sonntags in die Kirche gehen und ihre Brüder und Schwestern fragen: Können Sie mir sagen, wo ich einen Wahrsager finden kann? Oder: Meine christliche Mitschwester, bitte erzähl mir von deinem privaten Zauberheiler? Nein. Sollten sich doch Tajirika und der Herrscher selber um ihre Jagd nach einem Hexenmeister kümmern.
Vor der Kirchentür stieß sie mit Maritha und Mariko zusammen, die sagten, sie hätten auf sie gewartet. Zunächst nahm sie an, es wäre das übliche Anliegen von Leuten, die ihr nur die Hand schütteln und sich vorstellen wollten. Was aber konnten Maritha und Mariko von ihr wollen? Sie erweckten nach wie vor den Anschein, als lebten sie völlig in Frieden mit sich selbst, als lebten sie in ihrer eigenen
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