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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Herr der Krähen. „Doch warum sollte man über eine Schwangerschaft reden, als wäre sie etwas Bösartiges? Schwanger zu sein, heißt, den Keim des Werdens in sich zu tragen. Ist das Leben oder Tod? Das ist die Frage. Aber man hat mich nicht hierhergeschickt, damit ich über Ethos und Philosophie der Schwangerschaft rede, sondern um zu erklären, wie ich euch zu falsch verstandenem Glauben führte.
    Alles geht auf ein Gleichnis zurück, das mir einfiel, als ich in der Halle eines New Yorker Hotels wartete und versuchte, die Wunder zu verstehen, die ich als Vogel während eines Flugs über Afrika und alle Länder gesehen hatte, in denen schwarze Menschen leben.“
    Er erzählte die Geschichte seiner Reisen durch Raum und Zeit, auf denen er nach der Quelle einer schwarzen Kraft gesucht hatte, und eine ziemlich lange Parabel darüber, wie Menschen einer blinden Gottheit mit dem vor- und rückwärts lesbaren Namen M&M , Money and Market, die Kontrolle über ihr Leben überantworteten und Afrikas Unabhängigkeit sich in eine Abhängigkeit verwandelte. Er hielt kurz inne, um die Wirkung seiner Worte abzuschätzen. Absolute Stille.
    „Warum erlaubte Afrika Europa, Millionen afrikanischer Seelen in alle Winde zu zerstreuen? Wie konnte es geschehen, dass Europa über einen zehn Mal so großen Kontinent herrschte? Warum lässt es das notleidende Afrika zu, dass sein Reichtum den Bedürfnissen derer dient, die außerhalb seiner Grenzen leben, und bettelt dann mit ausgestreckten Händen um einen Kredit aus eben dem Reichtum, den es weggegeben hat? Wie sind wir so tief gesunken, dass der beste Führer derjenige ist, der weiß, wie man um einen Anteil von etwas bettelt, das er bereits für den Preis eines zerbrochenen Werkzeugs weggegeben hat? Wo ist die Zukunft Afrikas?
    Ich sah Folgendes: Etwa im siebzehnten Jahrhundert schwängerte Europa einige Afrikaner mit seinen Übeln. Diese Schwangerschaften mündeten in die Geburt des Sklaventreibers auf der Sklavenplantage, der zum kolonialen Antreiber auf der kolonialen Plantage wurde, der wiederum Jahre später zum neokolonialen Anführer der postkolonialen Plantage mutierte. Wandelt er sich jetzt zum modernen Führer und Lenker einer globalen Plantage? Aber Afrika gebar sich neu, und das brachte unser Volk zum Singen: Auch wenn ihr unsere Helden umbringt, wir Frauen sind mit der Hoffnung auf ein neues Los schwanger. Deshalb schreit nicht wegen denen, die das Erbe verschleuderten; lächelt voller Stolz über die Errungenschaften derer, die für die Rettung unseres Erbes kämpfen.
    Also sagte ich zu mir: So wie der heutige Tag aus dem Schoß des gestrigen geboren wurde, so ist der heutige mit dem morgigen schwanger.
    Und mit was für einem Morgen war Aburĩria schwanger? Einem Morgen der Einigkeit oder der mörderischen Aufspaltungen? Der Tränen oder des Lachens? Unser Morgen wird durch das bestimmt, was wir heute tun. Unser Schicksal liegt in unseren Händen.
    Dieser Gedanke muss mir durch den Kopf gegangen sein, als ich in einer Nachricht an Machokali schrieb: ,Passen Sie auf sich auf. Das Land ist schwanger. Und niemand weiß, was es zur Welt bringen wird.‘ Ich hinterließ Machokali diese Nachricht, weil er damals das Augenlicht unseres Landes im Ausland war.
    Doch hatte ich nicht daran gedacht, dass in Aburĩria die Nation und der Herrscher eins sind. Und deswegen bin ich mit meinen bewaffneten Freunden hierhergekommen, um euch die Wahrheit über meine Rolle beim Aufkommen des Gerüchts, dass der Herrscher schwanger sei, zu berichten.“
    Kaum war der Versammlung klar geworden, was er gesagt hatte, begannen die Frauen zu trillern und die Männer pfiffen und schrien: „Erzähl mehr! Wann wird er niederkommen?“

24
    Die Schmerzen des Herrschers ließen nach, und er wandte sich gerade rechtzeitig wieder dem Fernseher zu, um den Beifall mitzuerleben. Er war nicht fähig gewesen, den Geständnissen des Zauberers zu folgen, und der Anblick der lachenden Menschen, die nach mehr verlangten, besserte seine Stimmung nicht. Er war ein Regisseur, der hilflos zusehen musste, wie seine Schauspieler vom Drehbuch abwichen.
    Er rief Big Ben Mambo an und befahl ihm, den Herrn der Krähen anzuhalten, nicht weiter über diesen Schwangerschaftsunsinn zu reden, sondern sich dem Auftrag zuzuwenden, Nyawĩras Versteck ausfindig zu machen. Die Schmerzen kamen wieder und zwangen ihn, die Unterredung mit dem Minister abzubrechen. Seine Krämpfe waren heftig und quälend, aber wann immer sie es

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