Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
Vom Netzwerk:
oder Getränke zu liefern, sie redeten und benahmen sich so, als hätte die Global Bank das Geld für das Projekt bereits ausgezahlt.
    Tajirika sagte ihnen offen, es sei mit der Global Bank noch nicht über die Kredite verhandelt worden, der Empfang im Paradise sei nur ein gesellschaftliches Ereignis gewesen und Verträge würden erst in ferner Zukunft abgeschlossen. Aber davon wollten sie nichts wissen. Für sie war das Ganze eine logische Angelegenheit: Warum sollte Minister Machokali einen Vorsitzenden für das Baukomitee ernennen und seinen Namen öffentlich bekannt geben, wenn er nicht einigermaßen sicher davon ausging, dass die Global Bank das Geld zur Verfügung stellte? Einige von ihnen hatten gelesen, die Global Bank hätte Millionen und Abermillionen an Russland gegeben und das Land bestochen, damit es friedlich vom Sozialismus ließ. Wieviel mehr käme also auf ein Land zu, dessen Führung niemals von Demokratie geträumt und auch nicht mit sozialistischem Unsinn herumexperimentiert hatte? Kein Wunder, dass die Besucher ihre Visitenkarten daließen.
    Mit jeder Karte wechselten Tausende Burĩ den Besitzer. Einige Herrschaften wollten Schecks ausstellen, aber darauf ließ Tajirika sich nicht ein. Bargeld und nichts anderes, ließ Tajirika sie wissen, und sie beeilten sich, ihm zu versichern, dass sie das selbstverständlich verstünden. Einige bestanden auf einer Verabredung zu einem Geschäftsessen und legten noch ein paar Burĩ drauf. Und keiner verlor auch nur ein Sterbenswort über das Geld, das er im Büro zurückließ. Selbst ihren engsten Freunden sagten sie nur, dass sie dem Vorsitzenden ihre Aufwartung gemacht und ihre Visitenkarte überreicht hätten. Das Geld türmte sich, und die Schreibtischschubladen quollen so schnell über, dass Tajirika Nyawĩra losschicken musste, um für den weiteren Geldsegen Säcke und Kartons zu kaufen.
    Nachmittags um vier war die Schlange zwar kürzer geworden, das Telefon klingelte aber immer noch in einem fort. Es waren Geschäftsleute von außerhalb, die ebenfalls um einen Termin beim Vorsitzenden baten. Angesichts der großen Anzahl von Terminen wurde Nyawĩra schnell klar, dass sie die Arbeit in den kommenden Tagen nicht alleine bewältigen konnte. Am Abend, als der letzte der Schlange gegangen war, konfrontierte Nyawĩra ihren Chef mit diesem Problem.
    „Machen Sie sich keine Sorgen“, meinte Tajirika erfreut über diese Nachricht, die weitere Visitenkarten und Geldscheine bedeutete. „Nehmen Sie das Keine-Stellen-Schild an der Straße ab und machen Sie ein anderes dran, auf dem steht, dass wir Aushilfen einstellen. So was wie ‚Aushilfsjobs zu vergeben‘ oder einfach ‚Aushilfsjobs‘. Das machen wir immer so, wenn die Arbeit überhandnimmt. Aber wie diesmal war es noch nie. Wenn Sie das Schild angebracht haben, Nyawĩra, lassen Sie’s gut sein für heute. Gehen Sie nach Hause. Wir sehen uns dann morgen. Und versuchen Sie, pünktlich zu sein“, fügte er hinzu, um ihr klarzumachen, dass seiner Aufmerksamkeit nichts entging. „Morgen zählt jede Minute.“
    In einer Zimmerecke entdeckte Nyawĩra drei Säcke voller Burĩ-Scheine. Der Chef hatte recht gehabt: Es war wirklich Manna vom Himmel gefallen, sagte sie sich beim Hinausgehen. Sie ging in den kleinen Lagerraum neben dem Empfang und holte ein großes Sperrholzbrett heraus, das ihr als Anschlagtafel dienen sollte. Aber es war so groß und schwer, dass sie ihre Handtasche auf dem Schreibtisch abstellte. Sie wollte sie später mitnehmen, nachdem sie das Schild angebracht hatte.
    Es war ungefähr fünf Uhr. Sie ging durch den Haupteingang hinunter auf die Straße. Als sie das Schild KEINE FREIEN STELLEN: KOMMEN SIE MORGEN WIEDER sah, erinnerte sie sich, was Kamĩtĩ widerfahren war – die wohl durchdachte Demütigung. Sie geriet so sehr darüber in Wut, dass ihr die Hände zitterten und das neue Schild herunterfiel. Ihr Zorn setzte Energie frei. Sie zog das alte Schild heraus und schleuderte es von sich. Mit einem Gefühl des Triumphs ersetzte sie es durch das neue. Als Nyawĩra einen Schritt zurücktrat, um ihre Arbeit zu begutachten, spürte sie, dass jemand hinter ihr stand.
    „John!“, rief Nyawĩra erschrocken.
    Kaniũrũ stand einige Meter von dem neuen Schild entfernt, fast an derselben Stelle, an der Kamĩtĩ am Tag zuvor gestanden und versucht hatte, seine Demütigung zu verarbeiten. Kaniũrũ las laut: AUSHILFSJOBS: PERSÖNLICHE VORSTELLUNG ERWÜNSCHT!
    „Was machst du hier?“, fragte

Weitere Kostenlose Bücher